T. C. Boyle ist bekannt für die großen Themen, die er anpackt. Mit seinem
neuesten Roman beweist er dies ein weiteres Mal. Um es vorwegzunehmen: Dies ist
für mich der beeindruckendste Roman seit "Drop City". Er steht in der
Tradition von "Drop City" und "Grün ist die Hoffnung".
Sicherlich ist jedes Werk dieses Autors beeindruckend und auf seine Weise
faszinierend. Mit "Hart auf Hart" hat er aber einen Roman geschaffen,
der einem Thriller nahekommt, nicht nur im Titel das Wort "hart"
verkraftet (im Original "The Harder They Come") und dabei das große
Thema "Freiheit", so wie es Amerikaner verstehen, auf eine
ungewöhnliche Weise aufgreift. Der absolute Freiheitsanspruch beinhaltet in den
USA auch den Besitz von Waffen. Doch die Schattenseite dieses
Freiheitsanspruches wird auch heute noch nicht von den meisten Amerikanern
eingesehen.
Hauptperson ist der kranke Adam. Adam leidet an Verfolgungswahn. Er sieht
überall Feinde, Chinesen und Aliens. Das ist kein Spaß. Schon als Kind hat er
sich in der Schule (sein Vater war dort Direktor) völlig daneben benommen. Er
musste die Schulen wechseln und seine Eltern versuchten, ihn in entsprechende
Therapien zu bringen. Doch nichts hat geholfen. Schließlich gaben seine Eltern
auf. Spätestens als die Hilfe des Vaters an den Datenschutzgesetzen - die
Ärzte gaben ihm keine Auskunft um den wahren Gesundheitszustand seines Sohnes -
scheiterte, wusste dieser nicht mehr, wie er an seinen Sohn herankommen sollte.
Adam liebt seit seiner Kindheit die Geschichten um den Waldläufer Colter. Er
nimmt sich diesen als Vorbild und identifiziert sich schließlich mit diesem.
Von Leuten in seiner Umgebung, nicht zuletzt die Zufallsbekanntschaft Sara,
erwartet er, dass sie ihn mit "Colter" anstatt mit "Adam"
anreden. Und ganz wie Colter, der vor 200 Jahren lebte, beginnt Adam ein Leben
im Wald, baut sich einen Rückzugsort inklusive Waffenlager.
Neben Adam sind seine Eltern Carolee und Sten sowie seine Freundin Sara tragende
Figuren in diesem Roman. Der Vater Sten ist Vietnamveteran und wird entsprechend
als amerikanischer Patriot gefeiert. Zumindest fühlt er sich so, besonders
nachdem er bei einem Überfall in Costa Rica, welches er auf einem
Kreuzfahrtschiff mit seiner Frau besuchte, die Banditen zur Strecke brachte.
Sten verkörpert den amerikanischen Begriff von Freiheit. Freundin Sara hingegen
ist eine Revoluzzerin der Neuzeit. Sie ist mit der aktuellen Politik und den
Politikern unzufrieden, bezeichnet die Regierung als illegal und ihr widerstrebt
jegliche Zusammenarbeit mit den Ordnungshütern des Landes. Bei einer
Verkehrskontrolle verweigert sie das Vorzeigen des Führerscheins und geht
dafür in den Knast. Auf Kaution freigekommen ignoriert sie den Gerichtstermin.
"Ich habe mit Euch keinen Vertrag", ist ihre Standardantwort
gegenüber den Behörden.
Die Spannung des gesamten Romans liegt immer in der Frage, was mit den Leuten
geschieht. Die anfängliche Konstellation legt zwar einen Amoklauf nahe, aber
unter welchen Umständen und wie wichtig dabei das Beziehungsgeflecht der
einzelnen Personen ist, wie sie zueinander stehen, zieht den Leser immer wieder
in das Geschehen hinein. Wunderbar verflochten ist dabei die Geschichte um den
Waldläufer Colter. Dessen Kämpfe mit Indianern und Verbrechern in seiner Zeit
gehen dem Protagonisten immer wieder durch den Kopf. Es werden immer wieder
Parallelen zwischen Colter damals und Colter heute (also Adam) aufgezeigt. Wer
die Symbole in Adams Gedanken erkennt, wird daraus ableiten können, was Adam
demnächst machen wird. Man kommt beim Lesen davon nicht los.
Wunderbar zu lesen ist der Stil des Autors. Es ist ein plaudernder Ton, nicht
gerade vom Stammtisch, aber an manchen Stellen klingt es einfach, als würde man
dem Autor beim Schreiben zuhören. Er sitzt an seinem Schreibtisch, seine
Gedanken zur Geschichte fließen ihm zu und während er den Satz schreibt,
fällt ihm dazu noch etwas ein, was er dann gleich hinten dran hängt. Das liest
sich etwa so: "Und er hatte sich jede einzelne (Spielkarte) angesehen. Ja,
wirklich. Und festgestellt, dass das Karo As fehlte - nicht das Pik As, sondern
das Karo As -, und ob das etwas zu bedeuten hatte und wenn ja, was, wusste er
nicht. Er war nicht abergläubisch. Oder vielleicht doch.". Zugegeben, dies
ist ein Zitat aus der deutschen Fassung des Romans, was aber hervorragend auf
die Übersetzungskraft von Dirk van Gunsteren verweist, der es wie kaum ein
anderer versteht, nicht nur Wörter und Sätze zu übersetzen, sondern ganze
Situationen überträgt.
Fazit
Boyle schafft es mit dem Roman, den Leser zu fesseln, obwohl kaum eine Figur,
ausgenommen vielleicht Saras Freundin und Saras Hund, wirklich liebenswert ist.
Als Leser mag man sich mit keiner Figur identifizieren, sie sind einfach nicht
sympathisch genug. Dennoch üben sie alle einen großen Sog aus.
Vorgeschlagen von Detlef Knut
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veröffentlicht am 21. Februar 2015 2015-02-21 18:41:19