Darrow au Andromedus ist auf den ersten Blick ein junger Mann, der sich
glücklich schätzen kann. In der von
Pierce Brown erdachten
Zukunftsgesellschaft gehört er zur Spitzenkaste der "Goldenen", die
seit Jahrhunderten über das von Menschen besiedelte Sonnensystem herrschen. Er
ist intelligent, einfallsreich und mutig, ja, sogar charismatisch. Doch wie die
Leser bereits seit dem ersten Teil Red Rising wissen, ist Darrow in Wahrheit ein
genetisch veränderter "Roter", der damit zur untersten
Gesellschaftsschicht der Weltengesellschaft gehört, die in Kasten gegliedert
ist, die jeweils eine Funktion und eine Farbe repräsentieren, mit den genetisch
hochgezüchteten Goldenen an der Spitze.
Die Goldenen haben vor Jahrhunderten in der frühen Phase der Kolonisation des
Sonnensystems die Macht in den Kolonien ergriffen und anschließend die Nationen
der Erde vernichtet. Demokratie und Gleichberechtigung sind für die Goldenen
Krebsgeschwüre der menschlichen Zivilisation, für sie zählt nur das Recht des
Stärkeren - so wie die Goldenen einst die Nationen und Allianzen der Erde
überwanden. Die neue Weltengesellschaft dient vor allem dem immensen Wohlstand
der Goldenen, die anderen Kasten werden in Abhängigkeit gehalten und
unterdrückt.
Darrow ist vor allem ein von Rache getriebener zorniger junger Mann, der die
korrupte Weltengesellschaft brennen sehen will - selbst wenn dies erfordert,
dass er selbst dabei verbrannt wird. Zu Beginn des Romans fungiert er als
Adjutant von Nero au Augustus, dem Erzgouverneur des Mars, der wie mehrere
andere Planeten und Monde des Sonnensystems längst terraformt ist und nun über
Meere, Seen, Felder und Wälder verfügt. Doch schon in den ersten Kapiteln
erleidet Darrow Verluste und dies sollen nicht die letzten sein.
Darrow fällt ohne eigenes Verschulden in Ungnade und muss bei einem Empfang auf
dem terraformten Erdmond Luna, dem Zentrum der Weltengesellschaft, damit
rechnen, auch sein Leben zu verlieren. Die "Söhne des Ares", die
Darrow zwei Jahre zuvor in einen Goldenen verwandelt hatten, damit er die
Weltengesellschaft infiltrieren kann, planen einen großen Aufstand und Darrow
spielt in diesem Plan eine entscheidende Rolle. Er selbst entscheidet sich
jedoch für seinen eigenen Weg. Auf dem Empfang eskaliert die Situation, als er
seinen ehemaligen Freund und jetzigen Todfeind Cassius au Bellona zum Duell
auffordert - ein Duell, das nach jeder Erwartung Darrow nur verlieren kann. Doch
nicht nur hier bietet Brown eine überraschende Wendung. Darrow gelingt es, die
ohnehin angespannte Situation zwischen den mächtigen Häusern Augustus und
Bellona zu seinen Gunsten zu manipulieren. Es kommt zum offenen Bürgerkrieg,
den Darrow scheinbar als zuverlässiger und überaus einfallsreicher Offizier an
der Seite von Nero au Augustus bestreitet, wobei Darrows Mut oft an
Tollkühnheit grenzt und er nicht selten alles auf eine Karte setzt, um sein
geheimgehaltenes Ziel zu erreichen.
Die Handlung weitet sich erheblich aus und gewinnt rasch an Tempo. Der Leser
besucht mit Darrow den terraformten Jupitermond Europa, wo das Meer bis zu 90
Meilen tief ist. Man erlebt plastisch beschriebene Raumgefechte zwischen
gewaltigen Flotten, dazu eine monumental anmutende planetare Invasion. Und dies
sind nur einige der Wegmarken in Browns großartiger Darstellung. Dazu kommen
mehrere politische Schattenspiele, Wendungen und gut erzählte Dialoge, in denen
immer wieder auch Humor aufblitzt.
Die interessanten Charaktere sind hervorragend ausgearbeitet, seien es Darrows
nicht erfüllte Liebe, die überaus intelligente Virginia au Augustus, ihr
harter und ehrgeiziger Vater Nero, der für den Tod von Darrows Frau
verantwortlich ist, oder die ebenfalls durchtriebene Octavia au Lune, das
Oberhaupt der Weltengesellschaft. Darrow selbst ist ein charismatischer und
intelligenter Killer, der aber gleichzeitig ein moralisches Fundament hat, das
ihn immer wieder an seinem Tun Zweifeln lässt. Er begeht Fehler und verliert
Freunde, während der Gedanke an Rache immer wieder überschattet wird von einem
Hadern, ob der nun eingeschlagene Weg wirklich der richtige ist. Darrows Ziel
ist nicht die Vernichtung aller Goldenen, sondern der Einsturz der dekadenten
Weltengesellschaft, die nicht nur die anderen Farben ausnutzt und brutal
unterdrückt, sondern auch die Goldenen selbst dazu anhält, stets als Darwinist
zu handeln und jeden anderen als potentielle Beute zu betrachten.
Fazit
Browns zweiter Roman schlägt sein schon sehr beachtliches Debüt in jedem
Bereich: Handlung, Hintergrund, Charaktere, Tempo und Form sind jeweils
mindestens eine Klasse besser, was schon an sich eine große Leistung ist.
Verblüffend ist m. E. aber, dass es sich um den zweiten Teil der Trilogie
handelt - all die spannenden und flüssig erzählten Schilderungen lassen eher
den Eindruck eines Finales aufkommen. Darrow ist kein Titan, der unaufhaltsam
seinem Sieg entgegeneilt. Er scheint vielmehr im Tempo der Ereignisse zu
verglühen und bleibt doch bei allen Fehlern ein Charakter, dessen Handlungen
nachvollziehbar bleiben und der ein letztlich gerechtes Ziel verfolgt. All seine
Handlungen führen aber auch zum tragischen Höhepunkt im letzten Kapitel, das
den Leser vielleicht leicht verstört, aber doch staunend zurücklässt. Nun
beginnt das lange Warten auf den letzten Band "Morning Star".
Golden Son ist ein mehr als lesenswertes Buch, nicht nur für Sci-Fi-Fans - und
für mich bereits ein früher Höhepunkt des Jahres: eine unbedingte
Leseempfehlung.