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Manfred Hildermeier: Geschichte der Sowjetunion 1917-1991

Geschichte der Sowjetunion 1917-1991

von Manfred Hildermeier
Verlag: Verlag C. H. Beck [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Sachbuch
ISBN-13 978-3-406-43588-1

Preis: 44,89 Euro bei Amazon.de [Stand: 21. November 2024]
Der Göttinger Osteuropa-Historiker Manfred Hildermeier hat auf 1206 Seiten eine fundierte Geschichte der Sowjetunion von 1917 bis 1991 vorgelegt. Ausführlich legt er im ersten Teil die Gründe des Unterganges des Zarenreiches dar, wobei er - wie in seiner gesamten Darstellung den Schwerpunkt auf Wirtschafts- und Sozialgeschichte legt. Mit "gescheiterter Demokratie" beschreibt Hildermaier, der bereits ein Buch über die "Russische Revolution 1905-1920 vorgelegt hat, das Ende der Monarchie und den Zeitraum der Februar- bis zur Oktoberrevolution. Teil 2 beschäftigt sich mit dem Aufbau des Sowjetstaates, wobei er zunächst die Zeit des Oktoberumsturzes und des Bürgerkrieges bis zur Niederschlagung des Kronstädter Matrosenaufstandes 1921 untersucht. Mit "Atempause und Regeneration: die NEP" wird die Zeit der Konsolidierung 1921 bis 1928 untersucht. Auch hier liegt der Schwerpunkt eindeutig nicht auf der Ereignis-, sondern der Sozialgeschichte. Hildermaier bemüht sich, streng "wissenschaftlich objektiv" zu schreiben und sich wissenschaftlich nicht abgesicherter Wertungen zu enthalten. Dies mag in diesen Einleitungskapiteln noch angehen, stört mich aber besonders bei der Darstellung der Zeit der Diktatur Stalins, die euphemistisch mit dem Begriff der "Mobilisierungsdiktatur" (Teil 3) umschrieben wird. Hier untersucht der Autor die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen der Diktatur Stalins. So wird die Zeit des Terrors und der Schauprozesse - historisch korrekt - auf knapp 20 Seiten abgehandelt (S. 444-463). Ein Beispiel: wie man angesichts der Hungerkatastrophe die Ernte von 1933 als "wider alles Erwarten einigermaßem ausreichend" (S. 444) beschreiben kann, wo in dieser Zeit eine von Stalin initiierte Hungersnot herrschte, bleibt Geheimnis des Autors. An gleicher Stelle etwa fällt auf, dass Hildermaier der Frage, inwieweit Stalin Verantwortung für die Ermordung des Leningrader Parteichefs Kirow, den er - wie Rybakows "Kinder des Arbat" zweifelsfrei zeigt, als potentiellen Rivalen wahrgenommen hat, schlicht ausweicht. Die gesamte Vorgeschichte und Geschichte dieses Mordes beruhe auf einer fragilen Indizienkette. Es könne sein, dass Stalin Schuld an dem Verbrechen trage, es könne aber auch anders gewesen sein (S. 446). Immerhin bemüht sich der Autor um eine Definition des bis heute umstrittenen Begriffs des "Stalinismus", wobei bis heute nicht klar sei, was darunter zu verstehen sei (S. 741). Auch Hildermaier bietet keine befriedigende Definition an dieser Stelle an und begnügt sich im wesentlichen miteiner kritischen Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus-Modells, welches seit dem Amtsantritt Gorbatschows gerade in Publikationen des Ostblockes eine neue Renaissance erlebt hat. Immerhin konstatiert er, niemand könne den Begriff des Stalinismus von dessen Person und Wirken trennen (S: 751). Auch die Geschichte der Sowjetunion zwischen 1953 und 1985, also im wesentlichen die Herrschaftsperioden Chruschtschows und Breschnjews, werden weniger als Ereignisgeschichte, sondern schwerpunktmäßig unter gesellschafts, - wirtschafts- und sozialpolitischen Aspekten untersucht. Der Machtwechsel zur jungen Generation wurde, wie Hildermaier korrekt schreibt, bereits unter Andropow eingeleitet. Bei aller Würdigung der "außerordentlichen Durchsetzungskraft Gorbacevs verdient der Umstand größere Beachtung als bisher, daß der Elitentausch unter Andropov begann." Nachdem der Problemdruck am Ende der Breschnjew-Ära unübersehbar wurde, wurde deutlich, dass eine Anhebung des Lebensstandards der Bevölkerung lediglich über größeres Engagement der Menschen und mehr Eigeninitative möglich war. Damit stand das diktatorische Herrschaftssystem selber zur Disposition, welches letztlich nicht mehr reformierbar war. Dies erkannte Gorbatschow, der über Charisma und eine öffentlichkeitswirksame Persönlichkeit verfügte. Er war lernfähig und bereit, den "Sprung ins Ungewisse" (S: 1026) zu wagen. Er wagte systemsprengende Maßnahmen, die von der Nomenklatura nicht erwartet worden waren und erhöhte dadurch seine Glaubwürdigkeit. Allerdings führte dies - auch aufgrund ausbleibender Erfolge der "Pestroika" - zum erbitterten Widerstand seiner Gegner in Partei, Polizei und Militär. Sie putschten 1991. Als entscheidende Ursache für das Scheitern des Putsches bezeichnet Hildermaier die Tatsache, dass die Putschisten den im Juni 1991 gewählten russischen Präsidenten Jelzin nicht festnahmen, dem es gelang, mit seinem Wagen sein Dienstgebäude zu erreichen (S: 1056). Pointiert hat man daher gesagt, das beste an der perestroika sei ihr Ende gewesen. Aber immerhin gab es - so konstatiert Hildermaier korrekt - keinen Staat vergleichbarer Größe auf der Erde, der so geräuschlos und friedlich von der historischen Bühne abtrat. Dass es nicht zu mehr Gewalt dabei gekommen ist, darin liegt Gorbatschows Verdienst.
In dem 1996 geschriebenen Werk schreibt Hildermaier zu recht: "so spricht vieles dafür, das dominante Merkmal des politischen Prozesses im gegenwärtigen Rußland nicht in der Bündelung und Artikulation gesellschaftlich-öffentlicher Meinungen durch Parteien zu sehen, sondern in der Durchsetzung der Vorstellungen und Interessen des Präsidenten und seiner Klientel aus Repräsentanten vor allem der wirtschaftlichen, militärischen und bürokratischen Elite." Diese Feststellung, 1996 unter Jelzin getroffen, ist korrekt. Dies zeigt sich vor allem im Rußland des gegenwärtigen Präsidenten Putin, in der die von Gorbatschow eingeleitete Entwicklung zur Zivilgesellschaft rückgängig gemacht wurde und erneut ein Rückfall in den traditionell patrimonialen Staat (Richard Pipes) mit allen Merkmalen der Präsidialdiktatur zu beobachten ist.
Fazit
Insgesamt eine großartige Leistung des Autors, trotz mangelnder Berücksichtigung der Ereignisgeschichte und des personalen Faktors. Das Buch ist allerdings schwer zu lesen und eignet sich nicht für Anfänger. Diese sollten die "Kleine Geschichte der Sowjetunion" des Erlanger Osteuropa-Historikers Helmut Altrichter zur Hand nehmen.
7 Sterne7 Sterne7 Sterne7 Sterne7 Sterne7 Sterne7 Sterne7 Sterne7 Sterne7 Sterne

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Vorgeschlagen von Bernhard Nowak [Profil]
veröffentlicht am 26. Januar 2004

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