»Genaue Nachforschungen sind der Schlüssel zur Kunst des
Geschichtsschreibers.« - »Dann ist es umso mehr eine Schande, dass Euch so
viele Fehler unterlaufen sind.« Und so berichtet Vaelin Al Sorna, der
berühmteste Gefangene des alpiranischen Reiches, dem Historiker Vernier von
seiner Geschichte. Sie beginnt damit, dass Vaelins Vater, ein berühmter
General, ihn in jungen Jahren in die "Obhut" des 6. Ordens übergibt.
Während die anderen Orden der Vereinigten Königslande sich theologischen,
medizinischen oder politischen Fragen widmen, zählt für die Mitglieder des 6.
Ordens nur der Kampf, denn sie stellen den militärischen Arm des
"Glaubens" dar. Nach und nach wird der Leser durch das Leben Vaelins
geführt und dieses Leben ist ein hartes. Die Ausbildung im 6. Orden ist
gnadenlos und Vaelins Jugendjahre sind kaum als glücklich zu beschreiben. Er
findet zwar nach und nach Freunde, doch sein Können mit dem Schwert ist sein
wahrer Fluch. Vaelin entpuppt sich als begnadeter Kämpfer und Killer, doch
nichts verabscheut er so sehr wie eben diese Fähigkeiten. Dazu gehört das
"Blutlied", eine Art innere Stimme, die sich bei Gefahr stärker
bemerkbar macht.
Nach und nach erweitert sich die Handlung von einer "Jugendgeschichte"
hin zu einer dramatischen Schilderung politischer und persönlicher Intrigen, in
die Vaelin hereingezogen wird. Vaelin erfährt, dass der "Glaube" (der
interessanterweise ohne jeden Gott auskommt und eher eine Verehrung der toten
Ahnen ist) nur eine von vielen Religionen in der Welt ist, doch Andersgläubige
im Reich rigoros verfolgt werden. Er lernt die Ordensschwester Sherin kennen und
lieben, ohne dass diese Liebe erfüllt werden kann. Und er lernt die schöne,
aber auch berechnende Prinzessin Lyrna kennen, die seltsam fasziniert von Vaelin
ist. Das gilt auch für König Janus. Als Vaelin, nun bereits ein bekannter
Ordenskrieger, den König um einen Gefallenen für eine unschuldig verurteilte
Familie bittet, ist der Preis dafür sein absoluter Gehorsam dem König
gegenüber. Janus will Vaelin, über den er als Mitglied eines Ordens keine
Befehlsgewalt hat, als seine eigene Waffe einsetzen.
Vaelin wird als Kommandeur gegen Aufständische und andere Feinde des Reiches
eingesetzt - und er erfüllt alle Aufgaben vorbildlich. Das ändert nichts
daran, dass Vaelin oft an seinem Handeln zweifelt, die Machenschaften des
Königs verabscheut und erkennt, dass dies das Naturell eines Herrschers ist,
der ein Reich aus vier verschiedenen Reichen zusammenhalten muss. Gleichzeitig
erfährt Vaelin im Laufe der Handlung immer mehr über andere Dinge, so die
"magischen" Fähigkeiten anderer Völker - und das etwas davon in Form
des Blutlieds auch in ihm verborgen ist. Doch ebenso existieren offenbar gewisse
Kreise, die eigene Pläne verfolgen und dazu auch vor blutigen Handlungen nicht
zurückschrecken. Welche Pläne das sind, erfährt Vaelin erst nach und nach,
vor allem als er den Befehl bekommt, sich an der Invasion des alpiranischen
Reiches zu beteiligen, wo Janus reiche Gewinne wittert. Vaelin erweist sich als
brillianter Kommandeur, doch das Unternehmen endet in einer Katastrophe...
Anthony Ryan hat das vorliegende Werk vor einigen Jahren selbst als E-Book
publiziert. Es galt lange als Geheimtipp, als dann ein großer Verlag Ryan unter
Vertrag nahm und das Buch neu herausbrachte, wurde es sein Durchbruch als Autor.
Im anglo-amerikanischen Raum gilt es längst als eines der besten Debütromane
im Bereich "Fantasy" und ist nun der erste Band einer geplanten
Trilogie. Der zweite Band "Tower Lord" ist im Sommer erschienen.
Ryans Erzählstil ist keineswegs neu und die "Berichtform" zwischen
Vaelin und dem Historiker (die Erzählung an sich erfolgt jedoch aus Vaelins
Perspektive) erinnert an "Der Name des Windes" von Patrick Rothfuss.
Das ist jedoch nicht als Kritik zu verstehen, denn wie Rothfuss hat Ryan eine
"glaubhafte" Welt erschaffen, in dessen Mittelpunkt die
Persönlichkeitsentwicklung eines interessanten Charakters und positive wie
negative menschliche Charakterzüge stehen. Die deutsche Übersetzung ist
überwiegend gut geworden, wenngleich die eine oder andere Formulierung aus dem
Original m. E. nicht ganz treffend übersetzt wurde. Das ist aber nur eine
Kleinigkeit am Rande.
Fazit
Ryans Werk ist ohne jede Einschränkung als Lektüre zu empfehlen und keineswegs
nur für "Fantasyleser" geeignet. Es ist immer eine spannende,
flüssig erzählte, bisweilen auch schonungslos harte Schilderung, in der aber
nie der Kerngedanke aus dem Blick gerät, dass ein Mensch selbst in einer
schwierigen, für ihn praktisch aussichtslosen Situation sich selbst nicht
aufgeben sollte - aber auch, dass ein "gutes Ende" einen bitteren
Beigeschmack haben kann.
Vorgeschlagen von B. Kiemerer
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veröffentlicht am 13. Oktober 2014 2014-10-13 19:17:29