Endlich war es soweit, ihre wundervolle, ungewöhnliche Brieffreundschaft würde
sie zueinander führen. Die 28jährige Sara Lindqvist stand in einem kleinen Ort
in Iowa und wartete auf die 65jährige Amy Harris, die versprochen hatte, ihre
junge Freundin abzuholen, die kurz entschlossen ein Visum beantragt und sich aus
dem kleinen Dorf Haninge in Schweden auf den Weg nach Broken Wheel in den USA
gemacht hatte. Sie hatten einander sehr gut kennengelernt im Verlauf der
zahlreichen Briefe, die sie miteinander gewechselt hatten, in ihrem Austausch
über die Literatur, über Autoren und ihre Werke, über die Weisheit und
Bedeutung der geschriebenen Worte und über die vielen Dinge, die sie in unserem
Leben bewirken und deren wir sonst nicht teilhaftig werden könnten.
Und Sara war sich sicher, dass Amy niemals vergessen hätte, sie abzuholen, sich
niemals aus Nachlässigkeit verspätet hätte, gewiss nicht diese Frau, deren
Gedanken ihr so vertraut waren, als stände sie bereits selbst vor ihr und
wären es nicht bisher nur Buchstaben auf sahneweißem Papier gewesen, die den
Weg zu ihr gefunden hatten. Sara stand mutterseelenallein in einer anderen Welt
und erfuhr von Amys Tod. Broken Wheel - so hieß das gottverlassene Nest, in dem
Amy gelebt hatte - machte seinem Namen alle Ehre. So hoffnungslos wie der Name
war der verfallene Ort mit seinen leerstehenden Läden und Häusern, mit
Straßen, durch die der Fuß der Zeit schon lange nicht mehr schritt und den
Bewohnern, denen Bücher gleichgültig, das Lesen fremd und deren Gespräche
miteinander aufs Notwendigste beschränkt waren.
Mit der jungen Sara, die Amys Bücher wie ein Vermächtnis übernahm, ihnen
einen kleinen Laden als Zuhause schuf, der gleichzeitig ein Treffpunkt für die
Dorfbewohner werden sollte, kamen neue Impulse, die Verlorengeglaubtes wieder
zum Leben erweckten. Sara entwickelte ihre eigene, ganz besondere Art, Menschen
und Bücher zusammen zu bringen und die Gedanken der Menschen verließen die
bisherige engstirnige Umlaufbahn und waren nicht länger bereit, die alles
lähmende Ausweglosigkeit ihrer Situationen hinzunehmen. Und dann gab es noch
Tom Darcy für Sara, der außer den Büchern einen Platz in ihrem Kopf
beanspruchte und durch ihre Wünsche geisterte. Aber der Termin, an dem ihr
Visum ablief, rückte näher, sie würde Broken Wheel verlassen müssen und der
Gedanke daran verursachte ihr ein Gefühl von Herzschmerz. Sie mochte den
kleinen Ort und seine Bewohner - und umgekehrt schien es genauso zu sein. Aber
viele Möglichkeiten gab es nicht, wenn man bleiben wollte.
Eigentlich hat Katarina Bivald ein wunderbares Buch geschrieben. Mit
einfühlsamer, flüssiger Sprache erweckt sie eine Reihe von ausgefallenen
Darstellern zum Leben, die auf eine gewisse Weise von einem fremden Stern zu
kommen scheinen. Wenn man sich diesen Roman in unsere Welt holt und liest, so
ist es, als buche man einen Urlaub in vollkommen anderen Sphären. Man fühlt
sich zwar wunderbar in der überbordenden Fülle des reichen "
literarischen Anteils", wird gefühlsmäßig gestreichelt und seelisch warm
eingehüllt von solcher "Literatur-Vertrautheit", aber dennoch kommen
viele Dinge einfach unglaublich und absolut unrealistisch daher. Weltfremdheit
und unentschlossenes Zaudern sowie kaum nachvollziehbare Gefühls- und
Sinnesänderungen machen es dem Leser oft schwer, alles gedanklich zu
verarbeiten.
Ich kam mir nicht selten vor, als blicke ich von fern auf eine Szenerie, die
sich mir zwar in allen Facetten erschloß, aber eine richtige Nähe nicht
zuließ, weil die Protagonisten Fremde für mich blieben. Es ist ein
eigenartiges Gefühl - der Roman ist voller wunderbarer Dinge, die sich auch zu
erkennen geben, es mir aber verwehren, sie zu berühren. Schade, möchte ich
sagen, wobei ich mich selbst hier als "den Schuldigen" sehe - vielen
anderen Lesern geht es bei diesem Buch mit Sicherheit nicht so. So möchte ich
der Autorin die Anerkennung auf keinen Fall versagen, da aber eine Empfehlung
immer etwas Persönliches ist, kann ich diese nur bedingt aussprechen.
Fazit
Ein Buchladen in einer fremden Welt, der mir den Zutritt nicht nicht immer
vermitteln konnte, obwohl er wunderbare, literarische Fülle bot.
Vorgeschlagen von brillenbaby
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veröffentlicht am 08. September 2014 2014-09-08 20:29:43