Staaten ohne Gerechtigkeit sind dem gelehrten spätantiken Kirchenvater
Augustinus zufolge nichts anderes als große Räuberbanden. Dies trifft für das
(fiktive) Königreich Tristia in mehr als einer Hinsicht zu. Das Land wird von
mächtigen Herzögen regiert, die absolut herrschen und sich vor niemandem für
ihre Taten rechtfertigen müssen. Als der letzte König Paelis die Jahrhunderte
zuvor aufgelösten "Greatcoats" (so auch die Bezeichnung in der
ansonsten gelungenen deutschen Übersetzung des Romans) wieder aufstellte,
bezahlte er mit seinem Leben dafür. "Greatcoats" sind Magister und
Schwertkämpfer. Sie sind nicht auf den König vereidigt, sondern auf das
königliche Gesetz und sorgten (auch mit Waffengewalt) für dessen Einhaltung:
Sie schlichteten Streitigkeiten, nahmen Festnahmen vor oder verhängten Strafen.
Die Herzöge jedoch betrachteten dies als Verletzung der Tradition, setzten den
König ab und richteten ihn hin - alles in Anwesenheit der
"Greatcoats", die nicht eingriffen. Nun, einige Jahre danach, werden
sie von der Bevölkerung verachtet und von den Herzögen verfolgt.
Falcio val Mond war der erste Kantor der Greatcoats und ein enger Freund des
Königs. Nun schlägt er sich zusammen mit seinen Freunden Brasti und Kest mehr
schlecht als recht durch. Jeder von ihnen war ein Greatcoat und hat
hervorragende Fähigkeiten: Brasti ist ein ausgezeichneter Bogenschütze, Kest
ein meisterhafter Schwertkämpfer, der nur von Caveil in den Schatten gestellt
wird - dem Heiligen der Schwerter (eine Art "kleiner Gott", wie Kest
meint), "dessen Klinge Wasser schneidet". Falcio ist ein guter
Schwertkämpfer, ein noch besserer Taktiker, den aber die Schatten der
Vergangenheit verfolgen. Seine Ehefrau wurde von Männern eines Herzogs getötet
und König Paelis, der erste König seit Jahrhunderten, der etwas gegen die
Herzöge und für die Menschen tun wollte, hatte sich freiwillig in die
Gefangenschaft der Herzöge begeben. Der König hat vor seinem Tod jedem
Greatcoat einen geheimen Befehl gegeben, bevor sich der Orden auflöste und
Tristia im Chaos versank. Die Straßen sind unsicherer denn je, eine objektive
und faire Rechtsprechung existiert nicht mehr, während die Herzöge ihre Macht
ohne König mit brutalen Mitteln immer weiter ausbauen.
Falcio, Kest und Brasti geraten während ihres letzten Auftrags in erhebliche
Schwierigkeiten. Ihnen wird ein Mord angehängt und so schließen sie sich einer
Handelskarawane an, die von einer Adligen geleitet wird. Bald schon müssen die
drei Greatcoats erkennen, dass fast nichts so ist wie es scheint und die Pläne
der Herzöge noch weitreichender sind. Aber auch der tote König Paelis hatte
einen Plan und dieser hängt nun entscheidend von Falcio und seinen Freunden
ab.
"Blutrecht" ist ein gelungener Roman. Nicht die Geschichte dieser
fiktiven Welt steht im Mittelpunkt der Handlung (diese wird nur angedeutet und
auch ansonsten bleibt manches im Dunkeln), sondern die Charaktere und ihr
Verhalten. Die teils recht düstere Handlung ist spannend und flüssig
geschrieben. Am unterhaltsamsten sind die Unterhaltungen der drei Greatcoats
Falcio, Kest und Brasti, die humorvoll von manch harten Handlungssträngen
ablenken - so schon gleich zu Beginn ("Wisst ihr, was ich merkwürdig
finde?", fuhr Brasti fort. [...] "Ich finde es merkwürdig, dass sich
ein xxx Adliger fast so anhört wie einer, der gefoltert wird." "Du
hast also schon viele Adlige gefoltert?" "Du weißt schon, was ich
meine. Hier hört man nur Stöhnen und Grunzen und kleine spitze Schreie, nicht
wahr? Irgendetwas läuft da verkehrt."). Manche Charaktere bleiben leider
etwas blass und die Gegenspieler sind leider eher "schwarz gezeichnet"
als "grau" (anders etwa bei George R. R. Martin, Joe Abercrombie oder
Steven Erikson). Dies und das etwas vernachlässigte "Worldbuilding"
sind aber die einzigen wirklichen Kritikpunkte.
Fazit
Eine mit Humor erzählte spannende Handlung (mit einigen Überraschungen und
einer gelungenen Wendung am Ende), mehrere überzeugende Charaktere (vor allem
Falcio, Brasti und Kest) und eine nicht uninteressante Hintergrundgeschichte
zeichnen den vorliegenden Roman aus. Es bleibt zu hoffen, dass de Castell in
Folgebänden einige (kleinere) Schwächen ausbügelt und mehr über die fiktive
Welt preisgibt.
Da es sich um "Low Fantasy" handelt (Magie etc. spielt faktisch keine
Rolle), sollte auch der Leser dem Buch eine Chance geben, der ansonsten mit
Fantasy nichts anzufangen weiß. Denn letztlich handelt es sich um eine gut
erzählte Handlung mit interessanten Protagonisten, die in einer
quasi-historischen Welt eingebettet ist - und eine moralische Botschaft
enthält: Gerechtigkeit alleine mag nicht genügen, aber ohne jede Gerechtigkeit
ist kein Staat zu machen.
Vorgeschlagen von B. Kiemerer
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veröffentlicht am 25. November 2014 2014-11-25 23:56:01