Heinrichs` mit Recht "epochal" genanntes Buch "Revolution der
Demokratie" konnte noch in dem vordergründigeren Sinne als ein spezifisch
deutscher Betrag zur Demokratietheorie gelten, dass hier der deutschen Politik
ein Weg gewiesen wurde, Schrittmacher eines sprunghaften nationalen Fortschritts
in Sachen Demokratie zu sein. In diesem neuen Buch aber wird der tiefere Sinn
einer "deutschen" Sozialphilosophie vollends deutlich: Mit seiner
Reflexions-Systemtheorie steht Heinrichs auf den Schultern Kants und der so
genannten "deutschen Idealisten", indem er sie von ihrem Kern her,
eben als Reflexionstheorie, weiterführt. Welche praktische Brisanz diese
Sozialtheorie enthält, zeigt sich nun vollends in ihrer Anwendung auf die
anstehenden Probleme Europas.
Heinrichs` These ist ganz einfach: Das eigentliche Grundproblem Europas ist
identisch mit dem einer Weiterentwicklung der Demokratie durch die praktische,
institutionelle Unterscheidung der Ebenen Wirtschaft, Politik im engeren Sinne,
Kultur und Grundwerte. Was derzeit für die nationalen Demokratien der
unaufgeklärten Mehrheit noch wie ein Luxus erscheint, erweist sich für Europa
schlicht als lebensnotwendig: Wenn wir nicht das Wirtschaftseuropa vom
politischen Europa und beide vom kulturellen Europa der nationalen Vielfalt
sowie alle drei vom Europa der philosophisch-religiösen und ethischen
Grundwerte unterscheiden, und zwar nicht bloß in Gedanken, sondern
institutionell, angefangen bei der "Viergliederung" des
Parlamentarismus, kann Europa keinen Ausweg aus dem gegenwärtigen, sattsam
bekannten Durcheinander finden!
Diese kühne These wird im I. Teil des Buches aufgestellt, in Teil II an
einzelnen Problemen näher erläutert und im III. Teil als der ureigenste
"europäische Traum" mit wegweisender Bedeutung für die Welt
charakterisiert. Jeremy Rifkins schönes Wort vom "europäischen
Traum" im Unterschied zum amerikanischen bekommt auf diese Weise eine
logische Struktur. Mag man über einzelne Sachpositionen von Heinrichs streiten
können (solcher Streit soll ja künftig in qualifizierten Parlamenten und einer
nach den Sachbereichen gegliederten europäischen Öffentlichkeit ausgetragen
werden!) - der Entwurf als ganzer ist einfach genial und konkurrenzlos. Welches
Schicksal wird er zwischen (bisher) gedankenfremden Politikern, (bisher)
neidvollen Fachkollegen und einer (bisher) abgestumpften Öffentlichkeit
widerfahren? Es handelt sich um die alles umfassende, drängende Schicksalsfrage
Europas.
Fazit
Scheitert das Denken, dann scheitert Europa!
Vorgeschlagen von Daniel Bigalke
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veröffentlicht am 13. Mai 2014 2014-05-13 10:00:43