Ursula Todd ist eine besondere Frau. Geboren im November 1910 erlebt sie, wie
jeder andere Mensch auch, Situationen, in denen sie sich fragt: Was wäre
geschehen, wenn? Doch bei Ursula Todd bleibt es nicht bei diesen Fragen. Sie
bekommt eine weitere Chance. Und nicht nur eine.
Die britische Schriftstellerin Kate Atkinson greift in ihrem Roman "Die
Unvollendete" das Thema der Zeitschleifenwiederholung auf. Immer wieder
wird ihre Heldin geboren und kann Ereignisse in ihrem Leben verändern. So
erlebt man Stück für Stück mit, wie das Leben von Ursula weitergeht. Auch der
Leser stellt sich die Frage, wie wäre Ursulas Leben und damit die
Weltgeschichte verlaufen, wenn sie an bestimmten Stellen anders gehandelt
hätte. Was, wenn sie wirklich Adolf Hitler erschossen hätte?
Bereits der Einstieg in den Roman fällt alles andere als leicht. Trotz (oder
gerade wegen) der kurzen Einstiegskapitel fällt es dem Leser nicht leicht, sich
an die Erzählweise der Autorin zu gewöhnen. Im weiteren Verlauf nimmt sich
Kate Atkinson dann sehr viel Zeit, um ihre Figuren vorzustellen und ein
glaubhaft, authentisches Bild der damalige Zeit zu zeichnen. Hat man die ersten
gut hundert Seiten überstanden, nimmt das Erzähltempo der Geschichte ein wenig
zu. Abhängig von ihren Lebensentscheidungen lebt Ursula mal in London oder
gehört zum Bekanntenkreis von Eva Braun. Auch Ursulas Charakter ist den
jeweiligen Situationen angepasst.
Auch wenn der Roman mit zunehmender Dauer an Tempo gewinnt, musste ich mich
schon ein wenig durch die Handlung kämpfen. Kate Atkinson verlangt dem Leser
einiges ab. Sowohl in sprachlicher, als auch in erzählerischer Hinsicht. Der
Kampf zwischen Anspruch und Handlung geht an einigen Stellen deutlich zu Lasten
des Lesevergnügens aus, so dass es immer wieder Kapitel gibt, durch die ich
mich regelrecht kämpfen musste. Auch die zahlreichen Vor- und Rückblenden
erfordern erhöhte Aufmerksamkeit und gingen (zumindest in meinem Fall) zu
Lasten des Lesevergnügens.
Fazit
Kate Atkinson ist mit "Die Unvollendete" ein überaus anspruchsvoller
Roman gelungen. Hat man den Einstieg gefunden, ist der Roman für alle Leser
interessant, die sich speziell für die Zeit zwischen 1910 und 1945
interessieren. In der detaillierten Schilderung der damaligen Lebensumstände
liegt die große Stärke des Romans. Anhänger historischer Werke kommen hier
mit Sicherheit voll auf ihre Kosten. Insgesamt hat der Roman viele
detailverliebte Szenen, die mich nicht ganz so begeistern konnten. Daher kann
ich hier nur eine eingeschränkte Empfehlung aussprechen.
Vorgeschlagen von Michael Krause
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veröffentlicht am 26. April 2014 2014-04-26 14:20:48