2014 ist aus historischer Perspektive ein bedeutendes Jubiläumsjahr. Es ist
sowohl das 1200. Todesjahr Karls des Großen als auch der 100. Jahrestag des
Beginns des Ersten Weltkriegs, der "Urkatastrophe des 20.
Jahrhunderts". Letzterer Jahrestag wird im (leider zunehmend schwindenden)
Geschichtsbewusstsein der deutschen Gesellschaft wohl die größere Rolle
einnehmen. Zahlreiche neue Buchpublikationen sind zum Gedenken an 1914
erschienen oder erscheinen in naher Zukunft. 1914 war ohne Zweifel ein
Epochenjahr, das für das gesamte 20. Jahrhundert prägend wirkte. Es begann die
Selbstzerfleischung Europas und der Welt, die 1939-1945 mit noch größerer
Brutalität fortgesetzt wurde und einen tragischen Höhepunkt erreichte. 1914
war der Beginn dieser Entwicklung, obwohl noch 1913 kaum etwas auf einen
"Weltenbrand" hingedeutet hatte. Vielmehr war das beginnende 20.
Jahrhundert von Optimismus und Aufbruchstimmung in die Moderne geprägt. Doch
das Jahr 1914 mündete im Sommer in einem Krieg, der durch eine Politik der
"Schlafwandler" (von Christopher Clark grandios analysiert) ausgelöst
wurde und keineswegs unvermeidlich war.
Der Titel von Jörn Leonhards neuer Gesamtdarstellung des 1. Weltkriegs spielt
nicht grundlos auf die griechische Tragödie um Pandora an. Jede Seite glaubte
1914, den Krieg relativ rasch beenden zu können, doch diese Erwartungen
verflogen bald und endeten im Stellungskrieg und der Mobilisierung neuer
Technologien der Vernichtung, wie etwa dem Giftgaseinsatz auf beiden Seiten.
Leonhard gibt zunächst einen Überblick über die Vorkriegszeit und die
politische Ausgangslage. Anschließend folgt eine detaillierte Darstellung des
Kriegsverlaufs, den Leonhard in einer globalen Perspektive schildert. Nicht nur
der Krieg in Europa, sondern auch in Afrika und Nahost, Asien (wo die deutschen
Kolonien rasch überrannt wurden) und auf den Weltmeeren wird ausführlich
geschildert.
Leonhard beschreibt aber nicht nur die rein militärischen Vorgänge, sondern
auch die jeweils relevanten und beeinflussenden Aspekte, so beispielsweise
Technologien, Kriegsalltag, innenpolitische Entwicklungen, Auswirkungen an der
"Heimatfront" sowie die Besatzungspolitik in den jeweils eroberten
Gebieten. Das alles reflektiert er immer in Bezug auf die Quellen sowie die
aktuelle Forschung, die im Anmerkungsapparat verzeichnet ist. Leonhard entfaltet
so ein regelrechtes Panorama des Krieges unter Einbeziehung zahlreicher
Faktoren, ohne sich in Einzelerzählungen zu verheddern. Der rote Faden bleibt
stets sichtbar, dennoch wird der Leser umfassend informiert. Dies ist durchaus
eine beeindruckende Leistung, die man in der Flut der einschlägigen
Publikationen besonders hervorheben muss.
Zum Schluss bietet Leonhard einen Ausblick auf die frühe Nachkriegszeit nach
1918, die Erinnerungsgeschichte des Krieges sowie abschließend die Auswirkungen
auf die folgende Geschichte des 20. Jahrhunderts. Es folgt der Anmerkungsapparat
und ein recht umfangreiches Literaturverzeichnis.
Fazit
Leonhards beeindruckende Gesamtdarstellung ist nicht nur aktuell und umfassend,
sondern auch flüssig lesbar und thematisch vielfältig. In der Masse der
einschlägigen Literatur zum 1. Weltkrieg sei das vorliegende Buch daher auch
besonders jedem nur annähernd interessierten Leser empfohlen. Es bleibt zu
hoffen, dass das Buch auch zum Nachdenken anregt, in welch glücklicher Lage
sich die Bürger der EU heute trotz aller Probleme befinden. Frieden ist nie
selbstverständlich und die vorliegende Darstellung zeigt nur allzu
erschreckend, welch fatale Folgen ein verspielter Frieden haben kann.
Vorgeschlagen von B. Kiemerer
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veröffentlicht am 19. April 2014 2014-04-19 20:26:20