Conquest liegt hier auf rund 430 Seiten eine gut lesbare und fundierte
Lebensbeschreibung des Diktators vor. Zunächst behandelt er Stalins Kindheit in
Gori, die ihn nachweislich geprägt hat - seine ausgeprägten
Minderwertigkeitsgefühle (S. 16) wurden hier durch einen gewalttätigen Vater
und eine dominante Mutter geprägt. Diese Kindheit erklärt vieles: Stalins
Minderwertigkeitskomplexe und sein unbändiger, ja "totaler Wille zur
Macht" sind hierdurch erklärlich. Niemals unterliegen müssen, wurde seine
Devise. Kapitel 2 behandelt Stalins Ausbildung am Priesterseminar. Seine
dogmatischen, ja scholastischen Redebeiträge, etwa an Lenins Bahre, können
hierauf zurückgeführt werden. Die bedrückende Atmosphäre in dem
Priesterseminar in Tiflis - so werden ständig "Feldzüge gegen
verdächtige Studenten geführt" (S. 40), machen Stalin zum Revolutionär.
Stalins Aufstieg im Untergrund - so wird er bald Anhänger Lenins und nimmt als
Delegierter an der Parteikonferenz der Bolschewiki (der Anhänger Lenins) im
finnischen Tammerfors teil, wo er Lenin kennenlernt - sowie seine Teilnahme als
Organisator bewaffneter Raubüberfälle der Bolschewiki werden dargestellt.
Conquest untersucht dabei detailliert den immer wieder erhobenen Vorwurf, Stalin
sei Doppelagent der zaristischen Geheimpolizei, der Ochrana, gewesen und kommt
zu dem Schluss, der Vorwurf könne nach den bisherigen Erkenntnissen nicht
aufrechterhalten werden (S. 64). Kapitel 5 beschreibt Stalins überaus passive
Rolle während der Oktober-Revolution 1917 (diese Passivität hatte Michail
Voslenski auf eine mögliche Spionage für die Ochrana zurückgeführt)und
bilanziert hierbei eine "schwerfällige Anpassung an Krisensituationen und
Veränderungen" - ein Verhalten, welches Stalin sein ganzes Leben lang
beibehalten sollte. Die Schilderung des weiteren Aufstieges Stalins vor dem
"langen Tod Lenins" zeigt, dass Stalin Lenin seit 1917 in allen
wesentlichen Fragen unterstützte - trotz heftiger Auseinandersetzungen mit
Trotzki anlässlich mehrer offenkundiger militärischer Versagen Stalins
insbesondere in Polen 1920. Doch erst Stalins und Ordshonikidses gewaltsames
Vorgehen zur Einführung der kommunistischen Herrschaft in Georgien 1921 und
Meinungsverschiedenheiten über die neu zu bildende föderalistische Struktur
der neuen Sowjetunion führten zu ernsthaften Auseinandersetzungen mit Lenin,
die Conquest, wie zahlreiche andere Stalin-Biographen, detailliert beschreibt.
Der Machtkampf mit dem todkranken Lenin und seinen Erben wird packend
dargestellt, wobei im Gegensatz zu anderen Stalin-Biographien nicht so sehr auf
persönliche Rivalitäten abgehoben wird, sondern die ideologischen
Auseinandersetzungen als ausschlaggebend betrachtet werden: "Es muss immer
wieder darauf hingewiesen werden, dass diese Auseinandersetzungen nicht zwischen
Politikern im üblichen Wortsinne geführt wurden. Es ging nicht um die
tagespolitischen Probleme des Landes, sondern um dessen langfristige
Umgestaltung nach den Richtlinien eines bestimmten Dogmas."
Nichtsdestotrotz schaltet Stalin zwischen 1923 und 1929 alle wichtigen Rivalen
aus. Zunächst verbündet er sich mit den übrigen Mitgliedern des sowjetischen
Politbüros erfolgreich gegen Trotzki. sodann verbündete er sich mit den
"Rechten" um Rykow und Bucharin gegen Kamenew und Sinowjet und danach
eliminierte er die bisherigen Verbündeten, die "Rechten". Stalins
katastrophale Politik der Massenkollektivierung der Landwirtschaft, seine
Angriffe gegen die sogenannten "Kulaken", die Kirche und
Andersdenkende wird eindrucksvoll dargestellt. "Eine derartige Politik
ließ sich nunr unter größtmöglicher Anwendung von Gewalt durchführen".
Innerparteiliche Opposition dagegen, von dem ehemaligen Moskauer Parteisekretär
Rjutin 1932 über die - zweifelsfrei von Stalin angeordnete (wie Conquest in
Anlehnung an Rybakows Roman: "Die Kinder vom Arbat!
" konstatiert) Ermordung seines Hauptrivalen, des Leningrader Parteichefs
Kirow bis zu den Schauprozessen und der Ermordung der Altbolschewisten - wird
rücksichtslos ausgeschaltet. Mit der Beseitigung Kirows hat Stalin seine
"Selbstherrschaft vollendet" (S. 352). Auch kritische Militärs, wie
Tuchatschewski, werden umgebracht - wobei Conquest die Rolle der Gestapo und
Heidrichs bei diesen Fällen leider nicht beleuchtet. Inwieweit Stalin sich
durch gefälschte deutsche Dokumente, die ihm zugespielt wurden, zum Handeln
gegen die Armeeführung veranlasst sah, bleibt bei Conquest offen. Deutlich wird
jedoch: "Stalin war während der großen Säuberung Urheber und Lenker des
ganzen unmenschlichen Blutbades" (S. 265). Conquest arbeitet auch den Druck
heraus, der durch den Terror nicht nur auf seine Opfer, sondern auch auf die
gesamte Bevölkerung ausgeübt wurde (S 266). Nach Abschluss des Terrors 1938
kommt es zum Bündnis mit dem deutschen Diktator Hitler. Der "große
Vaterländische Krieg" wird auf 40 Seiten eher kursorisch gestreift.
Kapitel 13 und 14 beschäftigen sich mit Stalins letzten Lebensjahren und seinem
zunehmenden Antisemitismus (S: 368). Ende 1952 mehren sich bei Stalin Anzeichnen
einer wachsenden Paranoia und er bereitet eine neue Säuberung vor, wie die
sogenannte "Ärzteverschwörung" im Januar 1953 zeigte. Doch da starb
der Tyrann nach einem Schlaganfall am 5. März 1953. Conquest glaubt nicht an
einen gewaltsamen Tod Stalins. Dies sei, so Mikojan gegenüber dem albanischen
Staatschef Hodscha, zwar erwogen worden. "Aus seinen Worten ging jedoch
hervor, daß sie dazu nicht in der Lage waren. Berija wurde immer wieder
verdächtigt, er habe die Absicht gehabt, Stalin zu vergiften, aber auch dafür
gibt es keinerlei Beweise. Wesentlich einleuchtender ist der Gedanke, daß
Vorkehrungen getroffen wurden, Stalin im Fall einer Krise eine ärztliche
Versorgung vorzuenthalten" (S. 393).
In einem Schlusskapitel: "Stalin heute" wird eine Bilanz über Stalins
Wirken gezogen, wobei die Auseinandersetzung mit dem bis heute umstrittenen
Begriff des "Stalinismus" in Abschnitt 7 und 8 allzu kurz und
summarisch abgehandelt wird. Eines seiner ausgeprägten Merkmale sei
ungewöhnliche Grausamkeit, eine ausgeprägte Mittelmäßigkeit im Verein mit
einer ausgeprägten Willenskraft gewesen, wobei seine Persönlichkeit von einem
tiefen Gefühl der Unsicherheit durchzogen gewesen sei. Fazit Conquests:
"Wenn wir jetzt damit anfangen können, Stalin als eine Person der
geschichtlichen Vergangenheit zu begreifen, dann geschieht es in der Hoffnung,
daß niemals wieder ein Mensch wie er eine solche politische Macht
erlangt."
Fazit
Insgesamt sehr eindrucksvolle Biographie
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 10. Januar 2004 2004-01-10 19:55:10