Die vorliegende Lebensbeschreibung des "wortgewaltigen Rebellen und
Mystikers" der Reformation hat Arnulf Zitelmann mit großer Sympathie für
den lange verkannten Bauernführer und Gegner Luthers verfasst. Eindringlich
zeigt Zitelmann auf, dass Müntzer - im Gegensatz zu Luther - die "Kirche
von unten" predigte und im Gegensatz zu diesem eine
"herrschaftskritische Perspektive" (S. 105) an den Tag legte.
Müntzer, über dessen Kindheit und Jugend nichts bekannt ist, radikalisiert
sich mehr und mehr und nimmt Anstoß an den Praktiken der Herrschenden, die sich
nicht am "leidenden Christus" orientierten. Gut zeigt Zitelmann die
unterschiedlichen Konsequenzen, die Luther und Müntzer aus ihrer Kritik an
Kirche und Herrschaft ziehen. Während Luther für sich selber Gewißheit und
Frieden durch die Schrift der Bibel fand, hebt Müntzer auf den unmittelbaren
Gottesstaat ab. Gott, der für Müntzer nur unmittelbar und direkt wirkt, kann
neben der Kirche keinen Staat mit eigenen Rechten anerkennen, wie Luther dies
tat. Zitelmanns Biographie zeigt auf, dass Müntzer Religion und Revolution
durchaus miteinander vereinbaren konnte: "Religion als rückschrittliches,
Revolution als fortschrittliches Denken bildeten, so sahen es vor allem
marxistische Müntzerinterpreten, ein unversöhnliches Gegensatzpaar; und ein
Denken in zwei Köpfen mochte man Müntzer nicht unterstellen. Also gab man die
Theologie als religiöses Mäntelchen aus, als Tarnung oder doch wenigstens als
zeitbedingte Verkleidung seiner sozialrevolutionären Ideen. Bei der
bürgerlichen Forschung neigte man eher dazu, Müntzers radikale sozialkritische
Perspektive als einen Strickfehler seiner Theologie herunterzuspielen. Daß man
Thomas Müntzer damit so oder so Gewalt antat, wollte man in beiden Lagern nicht
recht wahrhaben. Tatsächlich jedoch verfälschten beide Deutungen Müntzers
Vision seiner Kirche von unten." (S. 71). In dieser Feststellung liegt
meines Erachtens das Verdienst der vorliegenden, mit großer Sympathie für
Müntzer verfassten Biographie. Müntzer wird nicht - je nach politischer
Vorlieben - geteilt in den Politiker oder den Kirchenführer; Zitelmann zeigt
das Gesamtsystem im Denken Müntzers auf und macht somit überzeugend nicht nur
die Entwicklung des 1525 in Mühlhausen hingerichteten Predigers zum Rebellen
deutlich. Er bemüht sich auch, ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Insbesondere die wechselseitige Abhängigkeit zwischen Luther und Müntzer wird
verdeutlicht. Überraschend für mich auch, dass Müntzer spontane Gewalt
ablehnte und durchaus als "Mann der Mitte" (S. 97) verstanden werden
kann: "Rechts von ihm behaupteteten die Wittenberger [die Anhänger
Luthers; B. N.] das Feld, die zwar die Kirche, doch nicht die Welt reformieren
wollten, links von Müntzer erstreckte sich wiederum ein breites Spektrum
sozialrevolutionärer Gruppen und Grüppchen, die mit Gewalt die herrschenden
Verhältnisse umkehren wollten. In ihren Augen war Thomas, der in Gewalt immer
nur das letzte Mittel sah, längst nicht radikal genug" (S. 99).
Fazit
Zitelmann zeichnet also auch hier ein äußerst differenziertes Bild einer
Persönlichkeit, die in der deutschen Geschichtsschreibung bis in das vergangene
Jahrhundert totgeschwiegen wurde. Dann von der Arbeiterbewegung wiederentdeckt,
wurde Müntzer in DDR einseitig als politischer Revolutionär idealisiert, in
der alten Bundesrepublik überwiegend als radikaler Bauernführer kritisch
beäugt. Ihm in dieser fesselnd geschriebenen Lebensbeschreibung Gerechtigkeit
wiederfahren zu lassen, darin liegt Zitelmanns Verdienst.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 10. Januar 2004 2004-01-10 19:48:51