"Man sagt das nicht gerne über sich selbst: aber eigentlich bin ich ein
Nichts. Ein ehemaliger Postbote mit mittlerer Reife, der immer wieder den
Akademikern zeigt, dass man nicht unbedingt studiert haben muss, um als
Akademiker zu gelten. Erst die schmunzelnde Hochachtung meines Publikums nach
meiner Entdeckung macht aus dem Nichts eine reale Person. Obwohl ich eigentlich
nichts so sehr fürchte wie das Gefängnis, kommt es mir manchmal so vor, als ob
ich die Aufdeckung meiner Untaten herbeisehne, um mich meiner Existenz als
wirkliche Person zu versichern."
Diese Schlüsselpassage aus Postels "Doktorspielen" verrät nicht nur
das Wesentliche seiner Motivation zum Hochstapeln, sondern birgt in sich bereits
die tragisch-komische Dynamik einer eher ungewöhnlichen Biografie. Der Autor
spielt nicht nur mit den festgefahrenen Strukturen einer hochgezüchteten
Akademiker-Klasse, sondern ebenso mit dem vorgefertigten Weltbild einer
unbedarften Leserschaft - und dies mit einer durch und durch amüsant-ironischen
und teilweise entwaffnenden Eloquenz. Wer bei der Lektüre nicht mindestens
einmal pro Kapitel laut lachen muss, ist entweder Narzisst, Politiker, Mediziner
oder Jurist ;-)
Bei allen Hochgesängen der Antipsychiatriebewegung: Postel rechnet in seinen
Bekenntnissen bei weitem nicht nur mit der psychiatrischen Zunft ab, sondern mit
einem gesamtgesellschaftlichen Konglomerat aus Machthabern diverser
Fachrichtungen, die er hin und wieder mit gelungener Situationskomik in
peinlichen Konfrontationen gegeneinander ausspielt. So begegnet der Hochstapler
bei einer seiner pseudo-ärztlichen Tätigkeiten als Dermatologe in einem
dubiosen Institut für Haarimplantationen einem ehemals gegen ihn wegen
Hochstapelei ermittelt habenden Staatsanwalt, der sich dort inkognito als
Patient eingefunden hat. Die beiden machen einen Deal nach dem Motto "Ich
verrate nix, wenn Sie auch nix verraten". Eine diplomatisch-kommunikative
Glanzleistung, auch wenn der Autor immer wieder einmal auf der Metaebene seine
angebliche Unfähigkeit zur Kommunikation und sein mangelndes Selbstwertgefühl
in Szene rückt. Ironie pur!
Als eigentlichen Clou dieser Pseudo-Biografie, bei der im Endeffekt nie ganz
schlüssig ist, was nun Fakten sind und wo der Postel'sche Münchhausen sein
Talent versprüht, empfinde ich das so genannte "Vorwort" durch Prof.
Dr. med. Gert von Berg (das Lieblingspseudonym des Hochstaplers). Die Komik
dieser Meta-Pathologisierung erschließt sich dem aufmerksamen Leser allerdings
erst nach Ende der Lektüre. Der Verfasser des Vorworts ist niemand geringeres
als Gert Postel selbst.
Nicht zuletzt positioniert sich der Autor in diesem "Vorwort" in der
gesellschaftspolitischen Aktualität. Man dürfe nicht alles "für bare
Münze" nehmen, was in den "etwas selbstsüchtig anmutenden
Berichten" P.'s steht. "Unendlich bedeutsamer ist nämlich die
Tatsache, dass bereits aufgrund der Zeitungsberichte zu P.'s Prozess sich die
gegenwärtig wieder im Erstarken begriffene 'Antipsychiatriebewegung' seiner
bemächtigt hat und versucht, ihn zu einem ihrer Säulenheiligen zu machen.
Diese in den 68er Wirren entstandene, eigentlich schon totgeglaubte Bewegung,
die sich auf den Triester Psychiater Franco Basaglia und den Pariser
Modephilosophen Michel Foucault beruft, hat auf ihrem letzten
'Antipsychiatriekongress' in Berlin, wenn ich recht informiert bin, einen
eigenen 'Gert-Postel-Raum' gestaltet und wohl auch einen 'Gert-Postel-Preis'
ausgeschrieben, der Persönlichkeiten, die sich im 'Kampf gegen die Psychiatrie'
verdient gemacht haben, verliehen werden soll. Unterlagen zufolge, die bei P.
gefunden wurden, war er zu diesem Treffen als 'Ehrengast' eingeladen, konnte
aber infolge seiner Inhaftierung zu seinem Glück nicht teilnehmen. Wenn ich
sage 'zu seinem Glück', dann deshalb, weil P. nicht gefeiert und in seiner
Fehlhaltung noch bestärkt werden sollte, sondern unser aller uneigennütziger
Hilfe bedarf."
Gert von Berg alias Gert Postel spielt hier auf das im Frühjahr 1998 von der
radikalen Berliner Antipsychiatriebewegung real veranstaltete Foucault-Tribunal
an und zieht damit solcherlei Extremisten gleich mit durch den Kakao (was diese
bis heute noch nicht gemerkt haben: Das antipsychiatrische Werner-Fuß-Zentrum
in Berlin beherbergt mittlerweile einen "Gert-Postel-Fanclub").
Fazit
Insgesamt eine empfehlenswerte Lektüre für Realsatiriker und solche, die es
werden wollen...
Vorgeschlagen von Marianne Kestler
[Profil]
veröffentlicht am 08. Januar 2004 2004-01-08 10:19:03