Ich habe mich zum Verfassen einer Rezension dieses Bandes entschlossen, da er
der unmittelbare Folgeband des berühmten Romans "
Die Kinder vom Arbat" darstellt.
Der Roman beginnt unmittelbar nach den Geschehnissen, mit denen "Die Kinder
vom Arbat" enden, nach der - vermutlich von Stalin veranlassten - Ermordung
des Leningrader Stadtparteichefs Kirow. In dem vorliegenden Band führt Rybakow
die Geschichte der Kinder vom Arbat vor, die unterschiedlichste Entwicklungen
nehmen. 1935 beginnen in Moskau die Schauprozesse, die mit den Gegnern Stalins,
den angeblichen Trotzkisten, aufräumen sollen. Während Sascha seine Jahre in
der Verbannung absitzen muss und jede Hoffnung auf vorzeitige Freilassung aus
seinem Herzen verbannen muss, zieht seine Freundin Warja zu seiner Mutter, um
ihr beizustehen. Diese beiden Protagonisten alleine beweisen Mut und
Anständigkeit in einer totalitären Gesellschaft, die unter dem Eindruck des
Terrors steht und auch die persönlichen Beziehungen zunehmend von Angst,
Denunziation und Feigheit bestimmt werden. Jura Scharok, Saschas Gegenspieler,
macht beim NKWD, der sowjetischen Geheimpolizei, Karriere und wird bei Verhören
und Folterungen von Stalins politischen Gegnern eingesetzt.
In den Mittelpunkt rückt hier - im Gegensatz zum ersten Roman - der
allmächtige, misstrauische und despotische Stalin, dessen Rachsucht sogar vor
Familienmitgliedern nicht Halt macht. Mehr und mehr steht der Diktator im
Mittelpunkt der Handlung.
Dieser vorliegende Folgeband wurde von der Kritik nicht so begeistert
aufgenommen wie "Die Kinder vom Arbat". Aus Rybakows: "Roman der
Erinnerung" wissen wir heute, dass Sascha Pankratow Rybakow selber ist.
Seine Erlebnisse sind authentisch. Das gleiche gilt für die Auftritte Stalins.
In der Tat wirkt in diesem Band manches - zu - dick aufgetragen; diesem und dem
nachfolgenden Band "
Stadt
der Angst" fehlt die subtil aufgebaute Spannung des Erstlings; die
"Fronten" sind hier eindeutig, "Gut" und Böse"
eindeutig festgelegt; eine Entwicklung, die Spannung erzeugt - etwa die Frage
nach der Entwicklung Scharoks - ist geklärt. Allerdings ist auch dieser Roman
ein beeindruckendes Zeugnis der Stalin-Zeit und meines Wissens neben Alexander
Beks: "Die Ernennung" der einzige Roman, in dem der Diktator
leibhaftig auftritt und gar zur Hauptperson wird. Zu kritisieren bleibt -
insbesondere nach dem Ende der Sowjetunion - dass Stalin alleine und nicht dem
System als solchem die Fehler für die geschilderten Fehlentwicklungen
zugewiesen wird. Ob idealistische Kommunisten wie Sascha Pankratow - er erinnert
zunehmend an Gorbatschow - das Blatt hätten wenden und einen "Kommunismus
mit menschlichem Antlitz" hätten schaffen können, bleibt offen. Eine
solche Alternative gab es nicht. Dennoch ein beeindruckender Roman, der nur noch
mit Lydia Tschukowskajas "Sofja Petrowna", einer ebenso
beeindruckenden Schilderung jener Zeit, zu vergleichen ist. Unbedingt
empfehlenswert, wenn auch die hohen Erwartungen, die Band 1 geweckt hat, nicht
erfüllt werden.
Fazit
Es bleibt zu hoffen, dass der letzte Band des inzwischen verstorbenen Autors,
Staub und Asche, auch noch ins Deutsche übersetzt wird, damit der Leser die
Schicksale Saschas und Warjas in den zweiten Weltkrieg verfolgen kann. Bislang
liegt der Band nur in Englisch vor. Rybakow hätte eine Veröffentlichung auch
dieses letzten Bandes meines Erachtens verdient.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 30. Dezember 2003 2003-12-30 12:56:26