Das vorliegende Werk, herausgegeben von dem Berliner Osteuropahistoriker
Hans-Joachim Torke, von dem auch eine gute Gesamtdarstellung der russischen
Geschichte vorliegt, ist eine vorzügliche Biographie der russischen Zaren von
Iwan IV., dem Schrecklichen bis zum letzten Zaren vor der Revolution 1917,
Nikolaus II. Neben Geoffrey Hoskings: Russland: Nation und Imperium; 1552-1917
aus dem Siedler-Verlag stellt das vorliegende Werk die beste
Geschichtsdarstellung Rußlands in der beschriebenen Zeit dar. Die 370 Jahre
russischer Geschichte, die durch den vorliegenden Band abgedeckt werden,
stellen, wie der Herausgeber treffend bilanziert, mehrere Epochen großer
sozialer Spannungen und Veränderungen dar. Das Wort Zar, etymologisch auf das
lateinische Caesar zurückgehend, wurde zum ersten Mal von dem Überwinder der
russischen Teilfürstentümer, Iwan III. (1462-1505) gebraucht, mit dem meines
Erachtens diese hervorragende Darstellung hätte beginnen können. Doch erst
sein Sohn Ivan IV., der Schreckliche, nahm 1547 den Zarentitel voll und ganz an.
Es war der kirchliche Berater Iwans, der Metropolit Makarij, auf dessen
Betreiben die Zarenkrönung Iwans IV. 1547 erfolgte. Das Interesse der Kirche an
diesem Akt erklärt sich mit der EInflußnahme der geistlichen Führung auf die
autokratie, wie sie schon zu Beginn des Jahrhunderts in der Lehre von Moskau
als "Drittem Rom" zum Ausdruck gekommen war. Damit wurde der Moskauer
Großfürst in den Rang des "ökomenischen Kaisers" und Nachfolger des
byzantinischen Kaisers erhoben. Der Moskauer Metropolit erhoffte dadurch, wie
Torke korrekt bilanziert, die Erhebung zum Patriarchen, was freilich erst 1589
gelang. Der Zarentitel ging jedoch nicht nur auf die für die Krönung
ursächliche byzantinische Tradition zurück, sondern steht auch in der
Tradition der tartarischen Fremdherrschaft. Der Titel der tartarischen Herrscher
ging in den Zarentitel mit ein. Mit dem Tode Iwans des Schrecklichen starben die
Rurikiden aus. Erst nach der Smuta, der "Zeit der Wirren", die mit dem
Tode Iwans begann, einigte sich eine extra einberufene Reichsversammlung 1613
auf Michail Romanov als neuen Zaren, dessen Geschlecht bis 1917 herrschte.
Michails Nachfolger, Peter I., der Große, ließ sich 1721 offiziell zum
Allrussischen Kaiser krönen. Es war Peter der Große, der die russische
Autokratie zum Abschluß brachte und modernisierte. Sie unterschied sich von
westeuropäischen Herrschaftsformen insbesondere durch die Abwesenheit der
Stände und des ständischen Eigenrechts. Rußlands Problem, so bilanziert Torke
zu Recht, bestand darin, dass Reformen, vor allem die unter Alexander II.
initiierte "Bauernbefreiung" für das Land zu spät erfolgten und die
Kaiser auf ihre Macht nicht verzichten wollten. So kam es zu den Revolutionen
von 1905 und 1917. Beide erfolgten neben innenpolitischen Spannungen aufgrund
außenpolitischer Niederlagen: gegen Japan 1905 und der katastrophalen
militärischen Situation im ersten Weltkrieg, die die Revolution 1917 auslöste.
Die provisorische Regierung erklärte Rußland am 1. September 1917 zur
Republik. Damit endet die Geschichte der zaristischen Zeit. Die Portraits der
Zaren werden - im Gegensatz zu dem leichter lesbaren, aber auch weniger
gehaltvollen Werk von Detlev Jena: Die russischen Zaren in Lebensbildern nicht
von einer Person, sondern von mehreren ausgewiesen Fachhistorikern jener Zeit
geschrieben. Neben Torke wirken so bekannte Historiker wie Frank Kämpfer,
Helmut Neubauer, Erich Donnert, Aristide Fenster, Marc Raeff, Alexander Fischer,
Hans-Jobst Krautheim, Nikolaus Katzer und Heinz-Dietrich Löwe. Die
Lebensbeschreibungen wirken Mythenbildung durch Aufklärung und
wissenschaftliche Geschichtsschreibung entgegen. Neben der reinen biographischen
Lebensbeschreibung werden Gesellschaft, Wirtschaft und Alltag Rußlands unter
den jeweiligen Zaren und Zarinnen beschrieben.
Fazit
Ein hervorragendes, nicht immer leicht zu lesendes Werk und jedem
Rußland-Interessierten sehr zu empfehlen.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 29. Dezember 2003 2003-12-29 20:50:04