Die Kritik an der Politik der Vereinigten Staaten unter Präsident Bush hat in
diesem Herbst zu zahlreichen Neuerscheinungen geführt, die inzwischen Regale
füllen könnte. Lesenswert sind dabei insbesondere vier Neuerscheinungen:
Joseph S. Nyes "Das Paradox der Macht", Charles Kupchans "Die
europäische Herausforderung: Vom Ende der Vorherrschaft Amerikas",
Benjamin Barbers "
Imperium
der Angst" sowie der hier anzuzeigende Titel des deutschen Historikers
Peter Bender "Weltmacht Amerika. Das neue Rom". Bender vergleicht
akribisch Gemeinsamkeiten und Unterschiede der heutigen Weltmacht USA mit der
des antiken Rom, wobei sich laut Bender immer wieder die gleichen Fragen
ergeben: Wie ergeht es einem Staat, der zwar nicht alles tun kann, dem aber kein
anderer etwas antun kann? Zu welchen Versuchungen führt seine Beinahe-Allmacht,
welche Verantwortung legt sie ihm auf? Worauf muß er sich stützen, um seine
Sellung zu wahren? Auf Soldaten oder Finanzen, auf Drohung oder klugen Umgang
mit Unterworfenen und Abhängigen, auf ökonomische Stärke oder kulturelle
Vorbildlichkeit oder auf alles zugleich? Die Konstellationen, so Bender, seien
immer anders, die Probleme jedoch, die sich im Umgang der Menschen miteinander
stellten, unterschieden sich auch im Abstand von Jahrtausenden nicht.
Unterschiede und Ähnlichkeiten der römischen und der amerikanischen
Machtstellung - wie auch das Verhältnis Amerikas zu Rom und der Antike werden
akribisch herausgearbeitet. Dabei konstatiert Bender einen Bedeutungswandel.
Während die amerikanischen Verfassungsväter sich die römische Republik zum
Vorbild nahmen, so wird die Machtstellung der USA heute mehr und mehr mit dem
römischen Imperium des Kaiserreiches verglichen. Detailliert zeichnet der Autor
ein faszinierendes Bild amerikanischer und römischer Geschichte und stellt
fest, dass beide Imperien, Rom wie auch die USA, eher widerwillig aus einer
defensiven Grundhaltung heraus entstanden sind. Als Fazit hält Bender fest,
dasss Amerika im Vergleich zu Rom lediglich die erste Stufe der Weltmacht
erreicht habe: "Es kann gegen den Protest der halben Welt so ziemlich alles
tun, was es will; auch Großstaaten sind außerstande, es zu hindern. Die zweite
Stufe der Weltmacht, auf der Rom stand, bleibt für Amerika unerreichbar: Es
kann nicht alle zwigen, zu tun, was es will. Ein Imperium wie das römische
können die Vereinigten Staaten nicht schaffen." (S. 256). In Anlehnung an
Zbigniew Brezinskis enorm wichtiges Werk: "Die einzige Weltmacht" (der
Autor war Sicherheitsberater von Präsident Carter 1977-1981) zeigt Bender auf,
dass Amerika nicht wie Rom nahezu 400 Jahre ohne Gegenmacht bleiben wird,
sondern sich bald wichtigen weltpolitischen Rivalen, etwa der Volksrepublik
China, stellen muss. "Diese Frist, darauf laufen Brzezinskis
globalstrategische Überlegungen hinaus, müsse es nutzen, um überall auf der
Welt seine Positionen zu festigen und am Ende aber nicht ein Empire zu scahffen,
sondern eine "funktionierende Zusammenarbeit." Roms weltgeschichtliche
Leistung habe in seinem Reich gelegen, das "zur politischen Hülle der
griechischen Zivilisation und ihr Halt und ihre stütze nah außen wurde"
(S. 263). Amerikas weltgeschichtliche Leistung, so Bender, könnte!
gleicher Art sein. "In einer künftigen Welt, in der andere Kulturen sich
gegen den "Westen behaupten, stärken und vordringen,, werden Amerikaner
und Europäer genötigt sein, sich ihrer Verwandtschaft stärker bewußt zu
werden und zusammenzurücken, auch wenn sie politisch oft uneins sind und sich
in Stil und Lebensauffassung vielfach unterscheiden."
Diese Hoffnung am Ende scheint durch die gegenwärtige Differenz zwischen Europa
und Amerika nicht in Erfüllung zu gehen. Charles Kupchan diagnostiziert in
seinem oben genannten Werk sogar eine wachsende europäisch-amerikanische
Rivalität. Kupchan befürchtet eine Spaltung des Westens in zwei Machtzentren,
ähnlich wie Rom und Byzanz. Bender vermeidet solche Prognosen und beschränkt
sich auf obige Hoffnung.
Das Buch ist sehr interessant zu lesen, da es historische Zusammenhänge
sichtbar macht. Allerdngs bleibt es für mich stellenweise trotzdem
unbefriedigend. Der Begriff des Imperiums wird nicht definiert, auch auf
Hegemonietheorien der Politikwissenschaft nimmt der Historiker Bender nicht
Bezug. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler hat in der Frankfurter
Rundschau vom 28. August 2003 untersucht, wie Imperien entstehen. Eine gekürzte
Fassung dieses Aufsatzes findet sich im Heft: "Globalisierung" der
"Informationen zur politischen Bildung" im Kapitel:
"Deutsch-amerikanische Beziehungen". Aufgrund fehlender Definitionen
ist Bender nicht in der Lage, die von ihm selbst gestellten Fragen, die ich oben
zitiert habe, befriedigend zu beantworten. Wie wird sich die USA entwickeln?
Wird sie denselben Weg nehmen wie Rom? Außerdem war Rom ein antiker Staat in
einer antiken Welt; die USA leben in einer globalen Welt mit atomaren,
biologischen und chemischen Waffen. Hier zeigen sich meines Erachtens durchaus
Grenzen des Historikers.