Konstantin der Große (gest. 337) ist eine umstrittene, gleichzeitig aber
bedeutende geschichtliche Persönlichkeit. Als römischer Kaiser (306 in
Britannien zum Kaiser erhoben, seit 312 uneingeschränkt im Westen, seit 324 im
Gesamtreich) leitete er die Förderung des zuvor teils heftig verfolgten
christlichen Glaubens ein - eine Entwicklung, die als "konstantinische
Wende" bezeichnet wird und in der Erhebung des Christentums zur
Staatsreligion im späten 4. Jahrhundert führte. Gleichzeitig reformierte er
wie sein Vorgänger Diokletian das Reich grundlegend und leitete damit die
spätantike Phase der römischen Geschichte ein. Insofern ist Konstantins Rolle
tatsächlich weltgeschichtlich bedeutend, aber wer war Konstantin? Der Kaiser
war bereits in der Antike umstritten und daran hat sich auch in der modernen
Forschung nichts geändert: vom bewunderten Kaiser bis hin zum skrupellos und
brutal agierenden Machtmenschen reicht die Skala, wie Klaus Rosen bereits
einleitend völlig zu Recht betont.
Man kann sich fragen, ob eine weitere Biographie Konstantins notwendig ist,
nachdem im Verlauf der letzten rund sieben Jahre anlässlich des Jubliäums der
Kaisererhebung Konstantins 2006 zahllose neue Werke erschienen sind. Kann man
eigentlich bei der problematischen Quellenlage eine Biographie im modernen Sinne
erwarten - oder nicht doch eher eine Geschichte der konstantinischen Zeit mit
dem Kaiser als Mittelpunkt? Klaus Rosen, angesehener Althistoriker und ein
Experte für das 4. Jahrhundert, hat jedenfalls eine überraschend umfangreiche
Darstellung vorgelegt, in der nicht nur der Kaiser, sondern auch das Reich,
seine Strukturen und allgemeine Aspekte der spätantiken Zeit berücksichtigt
werden.
Rosen beginnt mit einem Ãœberblick hinsichtlich der schwierigen Quellenlage, die
teilweise recht dünn, immer aber problematisch ist. Nach einem knappen
Überblick über die jüngere Reichsgeschichte, wird dann die Zeit Diokletians
angemessen gewürdigt. Darauf folgt die Schilderung der Lebenszeit Konstantins
(S. 67ff.), von seinen eher unklaren Jugendjahren bis zu seiner Position an der
Seite seines Vaters Constantius, eines Mitkaisers in Diokletians
Herrschaftssystem. 305 rückte Constantius zum Kaiser im Westen auf und
Konstantin begleitete den Vater 306 nach Britannien, wo dieser überraschend
verstarb. Nun folgte die Kaisererhebung Konstantins und seine Jahre der
Bewährung in Gallien. 312 schlug er Maxentius, der Italien beherrschte, und
wurde so Kaiser im Westen. Die Spannungen mit seinem Schwager Licinius, der den
Ostteil des Reiches beherrschte, mündeten 324 im Krieg, aus dem Konstantin als
Alleinherrscher hervorging. Er verlegte die Residenz des Reiches nach Osten,
nach Byzantion, das er unter dem Namen Konstantinopel prächtig ausbauen ließ.
Dieser Schritt war neben den Reformen und der konstantinischen Wende sicherlich
am bedeutendsten, denn die neue Hauptstadt wurde das Zentrum des späteren
Ostreichs, das unter dem Namen Byzantinisches Reich in der Moderne bekannt ist.
Konstantinopel wurde erst 1453 von den Türken erobert und ist heute als
Istanbul bekannt.
Dies sind nur die groben Fakten, die Rosen detailliert, kenntnisreich und
sprachlich angenehm schildert. Er setzt auch immer wieder eigene Akzente, so zur
viel diskutierten Hinwendung Konstantins zum Christengott. Diese Frage ist bis
heute stark umstritten und Einigkeit ist nicht in Sicht. Am Rande sei hier
angemerkt, dass die These Girardets und anderer Forscher, Konstantins frühere
Bevorzugung des Sonnengottes Sol Invictus habe den Ãœbergang zum Christentum
keineswegs behindert, sondern befördert, wohl am plausibelsten ist. Letztlich
ist es freilich unklar, was Konstantin unter "seinem Gott" verstand;
Rosens eher späte "Datierung" (S. 247ff.) ist mit einer gewissen
Skepsis zu betrachten, aber er hat sicherlich Recht, wenn er schreibt, dass
keine Eile geboten war, wenn man mit Roms Götterkult brach (S. 248). So oder
so, ein Problem stellte sich Konstantin als "neuer christlicher
Herrscher", nämlich die teils heftigen innerchristlichen theologischen
Streitigkeiten, die er nicht befriedigend lösen konnte (S. 275ff.). Am Ende
hatte Konstantin aber das Reich nach außen gestärkt und im Inneren auf eine
neue Grundlage gestellt. Die Wirkungsgeschichte Konstantins wird von Rosen denn
ebenfalls (wenngleich etwas knapp: S. 377ff.) behandelt. Bei aller berechtigten
Kritik, wie den Verwandtenmorden 326, so war Konstantin nicht skrupelloser als
andere Kaiser zuvor und danach. Seine lange Regierungszeit war sicherlich
blutig, erfolglos war sie jedoch keineswegs.
Fazit
Rosens Darstellung ist detailliert, ohne ausufernd zu sein. Sie basiert auf der
aktuellen Forschung, doch beinhaltet auch eigene Akzente. Und sie ist überaus
lesenswert. Rosens angenehmer, flüssiger Stil macht die Lektüre durchaus zu
einem Vergnügen, ohne den wissenschaftlichen Grundanspruch aufzugeben. Viele
kontroverse Fragen wurden dafür in den Anmerkungsapparat verbannt, was
sicherlich Sinn macht, wenn man an das Zielpublikum denkt. Man kann Rosen zu
dieser gelungenen populärwissenschaftlichen Darstellung nur gratulieren, die
auch für den Fachmann nicht ohne Reiz sein dürfte. Es handelt sich nicht nur
um die derzeit wohl umfangreichste Konstantinbiographie, sondern m. E. nach auch
um die gelungenste der letzten Jahre, selbst wenn man nicht alle Bewertungen
teilt. In der Flut der Konstantindarstellungen der letzten Jahre hebt sich Rosen
jedenfalls wohltuend ab und ist jedem historisch interessierten Leser daher klar
zu empfehlen.
Vorgeschlagen von B. Kiemerer
[Profil]
veröffentlicht am 21. November 2013 2013-11-21 16:54:57