Als Sven Stein eines Tages wiederholt mit "Tag, Herr Wertz" gegrüßt
wird, bleibt ihm, nach anfänglichem Zweifeln ("Nein, er war Sven Stein, da
gab es gar kein Vertun. Was sollte das alles? War er verrückt, oder waren es
die Leute?") bald nichts anderes übrig als der Entschluss, selbst Herr
Wertz zu sein bzw. zu werden. Sven, "ein leidenschaftlicher Hasardeur, ein
ausgeprägter Opportunist, leichtlebig und unberechenbar [...] Musische
Begabung, manuelle Geschicklichkeit und ein hoher IQ kennzeichneten die
Habenseite seiner Charaktereigenschaften", setzt nun seine gesamte
Frührentnerkraft ("eine heimtückische Krankheit zwang ihn im vergangenen
Jahr, mit 57 vorzeitig in Rente zu gehen") daran, Herr Wertz zu
"übernehmen", "So müsste er sich mit der Psyche von Wertz
auseinandersetzen. Wie empfindet dieser für ihn doch völlig fremde Mensch? Ist
er gutmütig oder hartherzig, egoistisch oder hilfsbereit, autoritär oder
kommunikativ? Ist er ein religiöser oder ein säkularisierter Mensch? Dann war
die mentale Welt des Herrn Wertz. Dachte er analytisch oder synthetisch? War er
ein Schnellsprecher, oder formulierte er bedächtig? Operierte er gerne mit
Zahlen, oder fabulierte er lieber? Waren seine Entscheidungen vom Intellekt oder
von der Emotion bestimmt?". Der echte Dieter Wertz hat eine internationale
Spedition inne; da Sven Stein im Import-Exportwesen nicht sehr beschlagen ist,
versucht er, inzwischen als Privatdetektiv Menke Erkenntnisse sammelnd, Dieter
Wertz über dessen musische Neigung an sich zu binden. Selbstredend gelingt es
Stein, gelingt so gut, das Wertz und Stein resp. Wertz und Wertz zu
Brüdern-im-Geist werden und der echte Dieter Wertz dem ambitionierten Wertz
anbietet, zu ihm in den Hotzenwald zu ziehen; wenige Momente nachdem Dieter
Wertz dieses Angebot ausspricht, stirbt er, plötzlich. Auf diesen paar Seiten
erreicht das Buch seine peinlichen Höhepunkte, angefangen bei der verzweifelten
Darstellung Steins Gerührtheit über das Angebot Wertz` ("Im Moment
möchte ich Dich nur wissen lassen, dass du mir sehr viel bedeutest, und zwar
insofern, als du auf mich dermaßen stark einwirkst, dass ich mich auf meine
alten Tage noch ummodeln lasse, nämlich Dinge anders sehe als zuvor,
Entscheidungen nach ganz anderen Gesichtspunkten fälle, nicht mehr alles so
apodiktisch beurteile, leben lasse und nicht so sehr das Lebenlassen bestimme,
den Menschen und Dingen mehr Laissezfaire in ihrer Entscheidung und Entwicklung
gewähre. Du, Dieter, bist sehr gut zu mir.") bis zu sinnlosen
Nachdenkereien a la "Bin ich als Bürger der gesetzestreue Diener, oder bin
als Bürger auch der Souverän des Staates?".
Fazit
Ferdinand Althoffs "Ein gewisser Herr Wertz oder warum Herr Stein eine
andere Identität annehmen wollte" ist ein Buch, das an keiner Stelle
vorankommt; es fehlt an erzählerischer Intensität, belangvollem Inhalt und
packenden Figuren.
Vorgeschlagen von Paul Niemeyer
[Profil]
veröffentlicht am 29. Dezember 2003 2003-12-29 20:34:41