Als Witze über Honecker zu Arrest führten, Ernst Thälmann "für
DDR-Kinder so etwas wie Robin Hood und Superman in Personalunion" war, als
rot kandierte Weihnachtsäpfel einem Kind seine volle Aufmerksamkeit
abverlangten, als sich Stasi-Leute, Kakerlaken ähnlich, zu ungeliebten
Mitbewohnern machten, als es "keine Oliven, keinen Lachs, keinen richtigen
Käse" gab, Neil Young oder Bob Dylan im geteilten Deutschland vor
entzweiten Publikum auftraten, davon erzählt Claudia Ruschs bravouröses
"Meine freie deutsche Jugend". Dieses Buch bietet einerseits eine
literarische Wiederbegegnung mit Tschapka, Lada, Abba, Amiga, Vopo, Becherovka,
Rias usw. Andererseits eine sehr subtile, zuckerfreie Schilderung
gesellschaftlicher Gegensätze innerhalb der DDR; wie vertragen sich das Streben
nach Freiheit bei gleichzeitig drohender Inhaftierung? Kann Solidarität darin
bestehen, dass einer dem anderen gleichgemacht wird? Ist der Staatsbürger
zuerst Bürger unter Bürgern oder Millionstel des Staates? Gewinnt man
Horizont, wenn man Ja oder Nein sagt?
Fazit
"Meine freie deutsche Jugend", eine authentische, liebevolle,
beneidenswert klare, lichte, pointierte, intelligente, niemals kitschige,
schlüssige Auseinandersetzung mit jenen Zuständen, die Rusch bemerkenswert
gute Szenen wie "Mauer mit Banane" oder "Die Musik meines
Vaters" schreiben ließen. Ein Buch, geeignet für alle, die nichts, ein
wenig, ein wenig mehr, viel und alles über DDR wissen.
Vorgeschlagen von Paul Niemeyer
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veröffentlicht am 29. Dezember 2003 2003-12-29 20:31:31