Die düstere Atmosphäre eines stürmischen Wintertags in Island allein sorgt
bereits für eine Gänsehaut. Auch Odinn laufen kalte Schauer über den Rücken,
denn in seiner Wohnung steht bei seiner Rückkehr ein Fenster offen, das er
selbst nicht geöffnet hat und er atmet Zigarettenrauch ein, der nicht von ihm
stammt. Odinn arbeitet für die isländische Heimaufsicht an Jahre
zurückliegenden ungeklärten Todesfällen in einem staatlichen Erziehungsheim
auf der Halbinsel Reykjanes. Odinn ist seit kurzer Zeit verwitwet und hat noch
keine Routine als allein erziehender Vater einer kleinen Tochter gefunden. Als
wäre diese Ausgangslage nicht bedrückend genug, hat Odinn die Akten zu seinem
aktuellen Fall kurzfristig nach dem überrraschenden Tod seiner Kollegin Roberta
übernehmen müssen. Ein zweiter zeitlich zunächst noch nicht einzuordnender
Handlungsstrang berichtet aus dem Heim, das im Mittelpunkt von Odinns
Untersuchung steht. Das Hausmädchen Aldis führte dort ein ebenso armseliges
Leben wie die Zöglinge. Das Heim war kaum mehr als ein kleinerer Bauernhof. Die
Jungen, die mit dem Gesetz in Konflikt gekommen waren, mussten bei karger Kost
schwer arbeiten. Am schlimmsten war für sie, dass das Heimleiterpaar den
Kontakt zu ihren Eltern unterband. Aldis, die selbst von zu Hause weggelaufen
ist, sieht nicht ein, dass sie ebenso streng behandelt wird wie die
Heimzöglinge. Während man sich als Leser noch immer unklar ist, ob Odinn in
seiner belastenden Familiensituation Sinnestäuschungen erlebt oder ernsthaft
verfolgt wird, arbeitet er sich durch die ungeklärten Todesfälle von damals.
Odinns Wahrnehmungen geben bis zur Aufklärung der Todesfälle im Erziehungsheim
Rätsel auf; Prolog, Epilog und die Verknüpfung mehrer Zeitebenen sorgen für
eine äußerst gruselige Atmosphäre.
Fazit
In
Geisterfjord hatte
Yrsa Sigurdadóttir schon erfolgreich eine Wende vom Krimi zum Schauerroman
vollzogen. Mit dem von Todesfällen in seiner unmittelbaren Umgebung persönlich
belasteten Odinn schickt sie nun einen Ermittler ohne Polizeikompetenzen ins
Rennen, eine Entscheidung, die sich in früheren Büchern schon bei der Wahl der
Anwältin Dora bewährt hatte. Mit Odinn, dem schon ein Luftzug Schauer den
Rücken entlang rinnen lässt, und seiner Sorge um Tochter Rún lässt sich
wunderbar mitfiebern - ich habe mich schon lange nicht mehr so gegruselt.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 24. Oktober 2013 2013-10-24 19:55:04