2014 jährt sich der Todestag des berühmten Frankenherrschers und Kaisers Karl
dem Großen zum 1200. Mal. In diesem Zusammenhang werden noch einige neuere
Werke erscheinen und sie werden sich an der hier vorliegenden Biographie
Johannes Frieds messen lassen müssen. Fried, einer der bekanntesten und
angesehensten Mittelalterforscher Deutschlands, hat sich mit Karl dem Großen
bereits mehrfach auseinandergesetzt, sei es in seinem monumentalen Werk
"Der Weg in die Geschichte" oder in mehreren Fachartikeln. Nun legt
Fried die Summe seiner bisherigen Forschungen zu Karl vor.
Fried hat sich für die in den letzten Jahren bei historischen Themen immer
größerer Beliebtheit erfreuende Darstellungsform der Biographie entschieden,
wenngleich er deutlich betont, wie problematisch dies ist. Die Quellen sind
zumeist stark subjektiv gefärbt (wie die Reichsannalen oder die berühmte
Biographie Einhards). Eine antike oder mittelalterliche Persönlichkeit lässt
sich so kaum darstellen wie eine moderne Persönlichkeit, zumal die
Zeitverhältnisse auf den modernen Betrachter oft sehr fremd wirken. Dennoch hat
bereits Einhard nach Karl Tod eine Biographie verfasst, um den Frankenherrscher
zu würdigen und seinen Nachfolger Ludwig den Frommen zumindest indirekt durch
das glänzend erscheinende Vorbild Karls zu kritisieren. Fried ist nicht nur ein
exzellenter Kenner der Quellen, sondern auch der modernen Forschungsliteratur.
Diese hat Fried in seinem opulenten Werk eindrucksvoll verarbeitet. Tatsächlich
ist Frieds Darstellung weit mehr als nur eine reine Tatenbeschreibung, vielmehr
entfaltet er ein Panorama der Zeit um 800, vom maurischen Spanien über das
Frankenreich bis ins ferne Byzanz.
Fried beschreibt zunächst die frühen Jahre Karls, die Umwelt des Frankenreichs
und schließlich die Thronbesteigung. Die Kriege Karls, die dieser oft mit
großer Brutalität führte (wie in Sachsen), werden in einem separaten Kapitel
präzise, aber nicht ausschweifend beschrieben. Die folgenden drei Kapitel sind
ebenfalls eher strukturell, weniger chronologisch arrangiert:
Herrschaftsstrukturen, Herrscher und Königshof werden ausführlich geschildert.
Diese Darstellungsweise hat für den Leser den großen Vorteil, dass er nicht
von Jahr zu Jahr geführt wird, sondern den allgemeinen Kontext erfassen und
gleichzeitig wichtige einzelne Ereignisse der Regierungszeit Karls verfolgen
kann. Fried verliert das Leben Karls nie aus dem Blick und bettete so seine
Lebensgeschichte in die Geschichte des Frankenreiches gekonnt ein. Breiten Raum
nimmt auch die sogenannte "karolingische Renaissance" ein, die
kulturelle Belebung des Frankenreichs. Die Kapitel 8 und 9 behandeln
schließlich den Weg zur Kaiserkrone (einschließlich der komplizierten
Vorgeschichte) und Karls Jahre als "römischer Kaiser". Das
"erneuerte römische Kaisertum" sollte sich für den weiteren Verlauf
der mittelalterlichen Geschichte im Westen und speziell im späteren
römisch-deutschen Reich als wichtiger Faktor erweisen. Im letzten Kapitel wird
anhand ausgesuchter Beispiele die Wirkungsgeschichte Karls beleuchtet, von der
Erinnerungspflege in karolingischer Zeit, über seine Stilisierung zur
Sagengestalt, dem Missbrauch seiner Person im Nationalsozialismus bis hin zur
Vorstellung vom "Vater Europas" und den modernen Geschichtsbildern.
Fazit
Johannes Fried hat ein eindrucksvolles Buch über Karl und seine Zeit verfasst.
Fried selbst betont den historischen Konstruktionscharakter - jede Annäherung
an solch eine weit entfernte Zeit und anhand der verfügbaren Quellenbasis ist
teils subjektiv. Dennoch hat Fried, einer der wenigen großen Stilisten unter
den deutschen Historikern, eine spannende und flüssig lesbare Schilderung
verfasst. Der Untertitel "Gewalt und Glaube" fasst die
widersprüchlich erscheinenden Facetten des großen Karl gut zusammen - den
bisweilen brutal agierenden Heerführer, aber auch den Glaubensmenschen, der
zudem an Wissenschaft und Kultur interessiert war. Fried glorifiziert und
dämonisiert nicht, sondern versucht dieses widersprüchlich erscheinende Bild
zu deuten.
Karl bleibt dem modernen Betrachter zwar nicht selten eher fremd, doch durch
Frieds beeindruckende und opulente Darstellung erhält der Leser einen gut
lesbaren und fundierten Einblick in diese bewegte Zeit, die auch das moderne
Europa nicht unerheblich prägt. Frieds Biographie stellt für den Rezensenten
im Vergleich zu den jüngeren Werken der Historiker Hägermann, McKitterick und
Hartmann die derzeit wohl beste Darstellung zu Karl und seiner Zeit dar. Dem
Werk sind zahlreiche Leser zu wünschen - die Lektüre lohnt sich in jedem Fall.
Vorgeschlagen von B. Kiemerer
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veröffentlicht am 30. September 2013 2013-09-30 16:30:42