Recht gut sein läßt sich's der Wiener Inspektor Josef Maria Nechyba während
seiner Kur im steirischen Gleichenberg. In "Wellers Gasthof" zu
sitzen, eine Portion dünn geschnittenen Schweinsbraten, oder Haussulz mit
Zwiebel und Kürbiskernöl zu essen, ein frisch gezapftes Krügerl Bier und
einen abschließenden Vogelbeerschnaps dazu zu trinken, ist schon ein
Hochgenuss. Nur seine Virginier Zigarren fehlen ihm - und natürlich seine
geliebte Frau Aurelia. Ansonsten ist die Welt in Ordnung - bis auf dass vor zwei
Tagen der österreichische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajewo
einem serbischen Attentäter zum Opfer fiel. Das beunruhigt ihn doch, weil das
patriotische Volk in rachsüchtiger Verblendung nach Vergeltung schreit und er
mit weitgreifenden Folgen rechnet. Dass ein Telegramm des Polizeipräsidenten,
der um seinen Anruf bittet, erst einmal Folgen für ihn selbst haben würde,
weiß er vor diesem Telefonat noch nicht.
In Wien ist der junge fesche Alphonse Schmerda, seines Zeichens erfolgloser
Schauspieler mit erfolgreicher Damenausbeute in seiner Dachgeschoßwohnung durch
zahllose Stiche in den Rücken ermordet worden, und da er der Sohn des
angesehenen Hofrats ist, betraut das Innenministerium Nechyba mit den
Ermittlungen. Seine Recherchen führen ihn direkt ins "Milieu" in der
Leopoldstadt, in das Revier des Zygmunt Karminsky, eines Zuhälters, dessen
Einfluss groß und dessen Ruf facettenreich ist. Seine Feinde erfahren seine
uneingeschränkte Brutalität, diejenigen jedoch, denen er gnädig gesonnen ist,
nennen ihn "den Guaden" - na, ja, so "guad" wie so ein
"Strizzi" halt sein kann in der Wiener Unterwelt, wo man kein
"Vater unser" übrig hat, wenn's den einen oder anderen auf
Nimmerwiederseh'n erwischt. Trotzdem versucht der Inspektor mit Hilfe seines
zwielichtigen Gegenspielers Licht in den mysteriösen Mordfall zu bringen. Doch
während er noch mit der komplizierten Aufklärung beschäftigt ist, geschieht
in der vom Hass auf die Serben und vom Kriegsgeschrei beunruhigten
österreichischen Metropole ein weiterer brutaler Mord und als Nechyba sich auf
die Suche nach einem gefährlichen Serientäter macht, wird die Welt in blutiger
Parallelität von der Welle des ersten Weltkrieges erfasst.
Die Mordgeschichte des Autors Gerhard Loibelsberger spielt im Jahr 1914 in der
österreichischen Metropole, zu einem Zeitpunkt, wo die Welt erschüttert ist
vom Tod des Erzherzogs Franz Ferdinand und die dem Thron treu ergebenen Bürger
nach Krieg und Vergeltung schreien. Er lässt seine spannende Kriminalstory vor
diesem geschichtlich bedeutsamem Hintergrund ablaufen, eingebunden in eine
interessante Milieustudie, die mit vielen typischen Wiener Ausdrücken untermalt
ist und daher ungemein authentisch wirkt. Natürlich hat er - eingedenk des
Lesers Unkenntnis - ausreichend Fußnoten angefügt, sodass dem Verständnis der
deftigen Sprache nichts im Wege steht.
Der Kommissar Joseph Maria Nechyba ist eine starke Persönlichkeit mit Ecken und
Kanten, einer glücklichen Ehe und einer Vorliebe für landestypische Gerichte,
die er sich genussvoll und ausführlich zu Gemüte führt. Seine
Ermittlungsmethoden sind ausgefallen, nicht zimperlich und erfolgreich.
Loibelsberger zeichnet hier einen Charakter, den der Leser so schnell nicht
vergessen wird - ebenso wenig wie die ihn umgebenden Protagonisten, die
ausnahmslos typvoll und authentisch wirken. Dynamik und Lokalkolorit machen
solche Wiener Impressionen zu einer besonderen "Krimi-Delikatesse".
Fazit
Mit diesem Buch hat mir ein ausgefallener, markanter, rundherum wienerischer
Kriminalroman, dem ich gerne alle Sterne serviere, ein ungetrübtes
Lesevergnügen bereitet.
Vorgeschlagen von brillenbaby
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veröffentlicht am 09. Oktober 2013 2013-10-09 23:02:36