Träume und Tränen. Man schrieb das Jahr 1912.
An Bord der "Moldavia" kehrte Lady Ada Averly in Begleitung ihrer
Schwester Georgina und ihres Vaters Lord Westlake nach England zurück. Das
luxuriöse Leben in Indien, das der Vater als Vertreter Englands dort genoss,
war beendet, als er seinen Gouverneursposten in Bengalen aufgeben musste und
Indien den Rücken kehrte, um auf sein herrschaftliches Anwesen Somerton Court
zurückzukehren. Auf seine Töchter wartete im Frühjahr die erste Ballsaison
mit Festlichkeiten und Veranstaltungen, auf denen sich die jungen Debütantinnen
zu zeigen pflegten.
Diese Aussichten jedoch erheiterten Ada nicht. Ihr Geist war rebellisch, ihr
Aufbegehren gegen die untergeordnete Rolle, welche eine Frau in der Gesellschaft
spielte, die ihr weder Wahlrecht noch Anspruch auf Bildung zubilligte, war
trotzig und impulsiv. So sah sie ihrem Aufenthalt in der englischen Heimat mit
gemischten Gefühlen entgegen. Obendrein würde ihr nach dem Tode ihrer Mutter
allein lebender Vater eine neue Frau mit drei Kindern als seine Verlobte zu
sich nach Somerton Court holen. Alle Zeichen standen bereits auf Umbruch,
Veränderung und Bewältigung neuer Anforderungen, als der Inder Ravi Sundaresan
in ihr Leben trat.
Aus dem blauen Dunkel der Nacht trat er zu der jungen schönen Frau, die
gedankenverloren an der Reling des Schiffes lehnte, erhielt Einlass in ihr
Leben, in ihre Seele, die er von diesem Moment an nie wieder verlassen sollte.
Aber es gab gesellschaftliche Pflichten, Vorschriften, die der Verstand
diktierte oder die Umstände erzwangen. Ada wusste, in welch schwieriger Lage
sich ihr geliebter Vater befand und dass es in ihren Händen lag, ihm zu helfen,
aber das bedeutete Verzicht auf eigenes Glück, auf die Erfüllung ihrer
Lebensträume und auf den Mann, dem ihre Sehnsucht galt.
Leila Rasheed hat mit Worten gemalt. Ein Gemälde voll leuchtender,
eindrucksvoller Farben, das uns mitnimmt in das England kurz vor dem ersten
Weltkrieg. Auf Somerton Court, dem herrschaftlichen Sommersitz der Westlakes,
erlebt der Leser den bunten Bogen der menschlichen Befindlichkeiten. In den
streng geprägten Hierachien der herrschenden und dienenden Klasse werden alle
Gefühle offenbar, die das Miteinander aber auch die Feindseligkeiten
gegeneinander aufzubieten hat. Hier liegen die Träume und Tränen der damaligen
Zeit dicht beieinander.
Die Protagonisten sind überzeugend und authentisch gezeichnet, als Leser bleibt
man nicht unberührt von den Gefühlen, von der Problematik, die in vielen
Gegebenheiten liegt. Oft wünscht man sich, man könnte eingreifen und etwas ins
rechte Lot bringen, was für uns heute so selbstverständlich ist, aber zur
damaligen Zeit unveränderlich schien. Das Lesen ist ein Eintauchen in eine
andere Welt, deren Mantel aus Romantik gewebt scheint, unter dem man aber bei
näherem Hinsehen sehr wohl die Einschränkung der Freiheit, die Borniertheit
der durch Geburt Herrschenden und den Schmerz des erzwungenen Verzichts erkennen
kann. Leila Rasheed hat dafür die Verpackung in eine gefühlvolle Familiensaga
gewählt - but I think, there is a lot between the lines.
Ich gebe gern eine Leseempfehlung. Das einzige Manko: Es fehlt der Hinweis, dass
dieses nur der erste Band von - bisher - zweien ist. Die englischen Romane
heißen zum ersten "Cinders and Sapphires" und zweitens "Diamands
and Deceid". Die Übersetzung des zweiten Bandes soll wohl Januar 2014 in
Deutschland erscheinen.
Fazit
Ein eindrucksvoller Roman mit flüssiger Sprache und bildreicher Schilderung
einer Familiensage vor dem Ausbruch des ersten Weltkriegs. Sehr gute
Unterhaltungsliteratur.
Vorgeschlagen von brillenbaby
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veröffentlicht am 24. August 2013 2013-08-24 20:45:44