Hervorragende Gesamtdarstellung der letzten beiden Kriegsjahre
Völlig zu Recht stellt Ian Kershaw in seiner differenzierten und breiten
Darstellung des "Untergangs" zu Beginn jene Frage, die auch für seine
Darstellung als Leitfrage gelten kann: "Eine Selbstzerstörung durch
Fortsetzung des Kampfes bis zum Letzten, die zu nahezu totaler Verwüstung und
vollständiger Besetzung durch den Feind führt, ist außerordentlich selten.
Genauso jedoch verfuhren die Deutschen bis 1945. Warum?".
Und genauso richtig empfindet Kershaw die lapidare und dennoch fest verwachsene
Antwort im Verweis auf den Beharrungwillen Hitlers, dessen Geringschätzung
eines Volkes, dem der Sieg nicht gelungen ist. Auf Basis dieser Frage und der
landläufig unbefriedigenden Antwort setzt sich Kershaw auf den gut 540 Seiten
des Buches intensiv mit jenen Herrschaftsmechanismen auseinander, die der
führenden Riege im dritten Reich fast bis zur letzten Patrone ermöglichte, das
Schicksal des Landes und Volkes zu bestimmen? Treue der Deutschen im Angesicht
des Unterganges? Oder ein perfides System von Loyalitäten und Terror bis zum
Schluss, in dem die einen nichts mehr zu verlieren hatten und die anderen in der
Breite nicht bereit oder willens oder fähig waren, Alternativen zu
ergreifen.
Schon das Literaturverzeichnis des Buches zeigt dabei auf, dass Kershaw nicht
bei oberflächlichen Antworten stehen geblieben ist, sondern sich intensiv in
großer Breite mit den historischen Quellen und den vielfältigen Betrachtungen
des Themas auseinandergesetzt hat. Zudem in dichter, teilweise fast romanhaft
spannender Sprache und jederzeit den Leser mitnehmend gelingt Kershaw im
Gesamten des Buches eine der fundiertesten und breitesten Darstellungen jener
beiden letzten Kriegsjahre, die ausufernden Schrecken und fassbaren Wahnsinn
mitten hinein in die Zivilisationsgeschichte Europas gesetzt haben.
Ein Wahnsinn, der Methode hatte. Kershaw weist überzeugend nach (und folgt
damit ast einhelliger, historischer Überzeugung), dass der Krieg militärisch
wie wirtschaftlich allgemein erkennbar ab Mitte 1944 allerspätestens verloren
war und eine Kapitulation schon zu diesem Zeitpunkt im Rahmen eines
"herkömmlichen" Kriegsverlaufes vollzogen worden wäre (und hätte
müssen).
Es ist, macht Kershaw aus und weist dies fundiert nach, eine Mischung aus
Psychologie, Mentalität und tatsächlich "perfektionierten"
Herrschaftsmechanismen, die vor allem an den entscheidenden Schalt- und
Drehstellen der Macht auf Gauleitereben und im Militärischen zu
"Höchstleistungen" führte. Höchstleistungen im Sinne und im System
des Terrors und des nationalsozialistischen Wahnsinns. Ein System, das auch
durch Fehler der Alliierten (auch diese weist Kershaw nachvollziehbar nach) von
Außen mit "zusammengeschweißt" wurde, ein System, das einmal
ausgestaltet und in Gang gesetzt an sich kaum zu stoppen gewesen wäre.
Fanatismus, Fatalismus, Angst und all dies gebündelt in einer Symbolfigur,
unter deren Deckmantel aber eine ganze Reihe von "Würdenträgern" in
blinder Ergebung oder innerer, eigener Überzeugung bis zuletzt, bis zum
"Volkssturm" und der Verheizung von Kindern jede Form offenen
Widerstandes oder gar Auflehnung verhinderten, die eine Wende hätten
herbeiführen können. Und auch wenn "Das Volk" nachweislich (und
ebenfalls bestens im Buch dargestellt) in weiten Teilen schon lange die Pfade
einer "inneren Loyalität" verlassen hatte, die Angst um das eigene
Leben und die perfide funktionierende Terrormaschinerie auch im Inneren des
"Reiches" verhinderten Aufstände auf breiter Front.
Wenn also eines aus dem Buch von Kershaw auf jeden Fall für die Gegenwart von
Bedeutung ist und zu lernen wäre, dann dies, das solchen Systemen frühzeitig
Widerstand geboten werden muss, bevor die Maschinerie mitsamt handelnder Akteure
sich festgesetzt hat.
Fazit
"Das Ende" ist ein schnörkellos und hervorragend lesbares Buch, das
aufgrund seiner fundierten Recherche und der breiten Darstellung einen tiefen
Blick in die "Maschinerie" des dritten Reiches eröffnet und jene
"Mentalitäten und Mechanismen" offen legt, die zu dieser fast
völligen Zerstörung führten. Eine sehr empfehlenswerte Lektüre.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 03. Februar 2012 2012-02-03 15:17:20