Sind es die alarmierenden Ergebnisse der Pisa-Studie oder ist es das Bedürfnis
nach Orientierung in einer nicht mehr zu überschauenden Liste von
Neuerscheinungen (rund 80 000 alleine in Deutschland pro Jahr), die zu immer
neuen Kanons in der Kinder- und Erwachsenenliteratur führen?
Wie dem auch sei, das "Eselsohr" führt in seiner Novemberausgabe
alleine 7 Neuerscheinungen vor, die Empfehlungslisten in der Kinder- und
Jugendliteratur enthalten. Einer der besseren - so auch das Eselsohr - ist das
vorliegende Buch.
"Was den beiden [Bezug genommen wird außerdem auf das Buch von Susanne
Gaschke: Hexen, Hobbits und Piraten] als eine Art kommentierte Literaturliste
aufgebauten Büchern anhaftet ist der Geruch nach der schönen
Kinderbuchlektüre der Autorinnen... Das kollidiert an manchen Stellen mit dem
Anspruch, nur die Bücher zu benennen, die Kinder lesen sollten und die
"lesbar und interessant für Kinder von heute sind", wie Monika
Osberghaus ihre Auswahl rechtfertigt und sogar verspricht, alle Titel seien
daraufhin abgeklopft." Dies konstatiert - völlig korrekt - Ralf Schweikart
in der zitierten Ausgabe des "Eselsohr". Nun gelingen Monika
Osberghaus in der Tat überzeugende charakterisierungen von Figuren und
Geschichten und ihre Auswahl ist im großen und ganzen - zu rechtfertigen.
Sicherlich kommt ihr dabei zu Hilfe, dass die Autorin sich bewußt auf die
Zielgruppe der acht bis zwölfjährigen Kinder konzentriert. Aber hier geht
natürlich schon das kritische Nachfragen los: da wird als Titel ein
Fußballbuch von Sammy Drechsel aus dem Jahre 1955 angeführt, welches dem
Anspruch der Autorin, lesbar und interessant für heutige Kinder zu sein,
deutlich widerspricht. Warum werden da nicht die "wilden
Fußballkerle" von Masannek ausgewählt, die heute die "Hitliste"
der Kinder anführen. Warum wird ausgerechnet
Enid Blyton erwähnt (deren
Beliebtheit die Autorin konstatiert und auch deren Erfolgsfaktoren treffend
analysiert), aber dann der Blyton-Nachfolger Thomas Brezina vergessen? Von
Science-Fiction mal etwas gehört? Nur aus dem Bereich der Märchen und
phantastischen Kindergeschichten finden sich einige Titel von Ende über
Preußler bis
Tolkien.
Und damit kommt man zur unvermeidlichen Frage: Was soll das? Hier werden
Leserinnerungen der Autorin vermittelt, aber ein Kinderbuchkanon ist dieses Buch
nicht. Es mag ja für ratlose Eltern ganz interessant sein, über diesen
literarischen Führer zu verfügen, bei vielen Kindern und Jugendlichen wird das
Gefühl des "pädagogischen Zeigefingers" aufkommen und so wird dieser
Kanon lediglich ein müdes Gähnen produzieren und - in Vergessenheit geraten.
Nichtsdestrotz erweist sich die studierte Germanistin als profunde Kennerin der
Kinder- und Jugendliteratur, die fesselnd zu schreiben versteht. Dies kann man
ihr - bei aller obigen Kritik - nicht absprechen, auch wenn der zeitweise sehr
sentimentale Tonfall zuweilen stört. Zielgruppe sind - auch vom teilweise
wissenschaftlichen Vokabular her - jedoch eindeutig Eltern, nicht Kinder.
Außerdem handelt es sich um einen äußerst subjektiven Kanon, über dessen
Auswahl man trefflich streiten könnte. Inweiweit der von der Autorin
formulierte Anspruch, Kinder damit zum Lesen zu verführen, erreicht wird,
bleibt für mich höchst zweifelhaft.
Fazit
Wie bilanzierte Ralf Schweikart im erwähten Artikel im "Eselsohr" vom
November 2003: "Montag ist Listentag: Die 30 Wichtigsten, die 40
Bedeutensten, die 50 Besten. Die 70 Ultimativen. Die 80 Endgültigen. Wäre doch
gelacht, wenn das nicht ginge." Damit ist alles gesagt.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 23. Dezember 2003 2003-12-23 14:28:11