Der 450 Seiten starke Roman erzählt eine Familiengeschichte über zwei
Weltkriege hinweg. Zunächst wird in parallelen Handlungssträngen von den
beiden Kindern Herbert Josef Lenz und Elisabeth Gerber erzählt. Herbert,
genannt Berti, ist das Kind einer Vergewaltigung. Seine Mutter war als
Dienstmagd von ihrem Dienstherrn vergewaltigt worden. Kein Wunder, dass er von
ihr nur halbherzig geliebt wird und sie ihn in ein Waisenheim abschiebt. Als die
Mutter später wieder einen Mann findet, hat Berti erst recht keinen Platz mehr
in ihrem Leben. Das Waisenhaus wird von einem strengen Pater und einem strengen
Lehrer geleitet. Gutes hat Berti von diesen Leuten nicht zu erwarten. Schon als
kleines Kind von sechs Jahren, als der Erste Weltkrieg 1914 ausbricht, fragt er
sich unentwegt, warum seine Mutter ihn nicht zuhause aufwachsen lässt. Sie
kommt ihn zwar oft besuchen, aber das ist nicht das, was er sich wünscht. Die
Frage, ob er ein ungeliebtes Kind ist, nagt sehr stark an ihm. Aber er lernt,
sich im Heim durchzusetzen und wird zu einem so genannten Rüpel, letztendlich
zu einem wahren Prügelknaben. Immer wieder kommt er bei Wasser und Brot in den
Karzer oder muss sich über den Prügelbock legen und wird windelweich
geprügelt. Parallel dazu wird die Geschichte von Elisabeth Gerber, genannt
Lisa, erzählt. Lisa wächst im Harz, in Thale, als Tochter des Sohns eines
Fleischermeisters auf. Die Mutter hatte sich die Hochzeit mit einem Kleinbürger
erkämpft, was deren Vater, Hüttenwerker und überzeugter Sozialdemokrat, gar
nicht gerne sah, Jedoch spätestens nach der Geburt von Lisa ergab er sich in
sein Opadasein mit einem bürgerlichen Schwiegersohn. Ihre Mutter betreibt eine
Wirtschaft, doch mit dem Ersten Weltkrieg bricht das Unheil für die kleine
Familie ein und der Vater wird in den Krieg berufen. Von nun an musste sich die
Mutter mit Lisa und ihren drei Geschwistern alleine durchschlagen, denn der
Vater kehrte aus diesem Krieg nicht zurück.
Der Autor hat einen besonders schönen Stil gefunden, diese in Geschichte, die
wie eine Familienbiografie anmutet, niederzuschreiben und zu erzählen.
Eigentlich wird die Geschichte aus der Perspektive von Bertis Sohn erzählt.
Doch dem stehen nur zwei Kapitel zur Verfügung: der Anfang und am Ende der
Epilog. Erst im Epilog erfährt der Leser, wie der Erzähler, der ja gar nicht
alles miterlebt haben kann, an die Informationen über seine Familie gelangte.
Dazwischen wird das gesamte Buch von einem auktorialen Erzähler vermittelt.
Über Jugendzeit und Kindheit der beiden Protagonisten Lisa und Berti bis weit
in die erste Ehe hinein verläuft die Handlung beider bis zur Hälfte des Buches
separat und parallel voneinander. Man erfährt vom Aufwachsen beider über die
grausamen Umstände mit denen sie fertigwerden mussten, auch die schönen
Momente, die sie im Leben hatten. Man erfährt, wie Lisa einen Menschen
heiratet, obwohl sie ihn vielleicht nicht liebte, aber der ihr ein Zuhause bot,
und den sie bis über seinen Tod hinaus respektierte. Man erfährt auch von
Berti, dass er eigentlich kein Schläger werden wollte. Aber dass er doch ein
großes Stück seines Lebens in diesem Waisenhaus verbrachte und sich dort
durchsetzen musste, was wiederum dazu führte, dass er sehr wohl austragen
konnte, um sich zu verteidigen.
In teils humorvollen Episoden werden viele Lebensabschnitte dieser beiden
Personen geschildert. Der aufmerksame Leser wird erwarten, dass sich die Wege
von Lisa und Berti irgendwann einmal treffen müssen. Sie werden auch einen
gemeinsamen Weg beschreiten. Nahezu anrührend wird das Bemühen der beiden
umeinander aufgezeigt.
Der sehr authentisch wirkende Roman ist ein Musterbeispiel für alle diejenigen,
die sich berufen fühlen, aus ihrem eigenen Leben oder aus dem Leben naher
Verwandter berichten zu müssen. Es gibt sehr viele Lebensgeschichten, sehr
viele Lebensberichte aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges und davor. Aber
meistens sind diese Berichte Tatsachenberichte, die einfach und schnörkellos
erzählt werden. Als solche lassen sie jedoch oft die Spannung vermissen. Dem
ist nicht so bei dem vorliegenden Roman. Dieser Roman ist dramaturgisch
inszeniert, auch wenn viele Elemente davon autobiografisch oder biografisch sein
sollten, ist zu spüren, dass an der Dramaturgie gefeilt wurde, damit die Leser
nicht nur an die Informationen gelangen, sondern auch noch Spaß dabei haben.
Fazit
Ein einfühlsamer, bewegender Roman mit einem Ende, wie es sie auch geben mag.
Von mir gibt es dafür neun Sterne.
Vorgeschlagen von Detlef Knut
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veröffentlicht am 10. Juli 2013 2013-07-10 17:38:59