Die 13jährigen Mädchen Anna und Francesca leben in der italienischen
Hafenstadt Piombino. Das Leben der heranwachsenden Mädchen spielt sich zwischen
dem Strand und der Via Stalingrado ab, hier sind sie umgeben von Stahlarbeitern,
Staub und der Sommerhitze. Gerne kokettieren sie mit den älteren Jungs. Und
obwohl sich die nur wenige Jahre älteren Mädchen abfällig über die
provozierenden Freundinnen unterhalten, müssen Sie sich doch eingestehen, dass
sie selbst wenige Jahre zuvor nicht anders waren. Die Väter der beiden
Freundinnen sind bzw. waren in dem nahe gelegenen Stahlwerk beschäftigt. Sie
sind alles andere als treuliebende Familienväter. Im Gegenteil, Alkohol und
Prügel für die Ehefrau als auch für die Kinder stehen auf dem Fahrplan. Da
wundert es nicht, dass sich der ältere Bruder von Anna um sie kümmert und auf
sie aufpasst. Er hält ein waches Auge auf seine kleine Schwester, damit sie
nicht von den Jungs angemacht oder gar geschmälert wird. Anna lässt sich davon
trotzdem nicht abhalten, den Jungs schöne Augen zu machen.
Was mich an diesem Roman besonders fasziniert hat, ist die Atmosphäre, die
durch die Schriftstellerin und deren Übersetzer Michael von Killisch-Horn,
erzeugt wird. Da ist zunächst einmal die Stimmung von Sommer, Sonne, Strand und
Ferien. Infolge des nahe befindlichen Stahlwerks kommt aber auch ein Hauch von
Dortmund aus den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zum
Vorschein. Die Atmosphäre in dem Mietshaus brachte bei mir ein Gefühl von
Duisburg, Essen oder Köln-Kalk hervor. Die Brutalität in der Familie erinnert
an das dümmliche Klischee von Hartz-IV-Familien. Diese dort herrschende
drückende Enge belastet die heranwachsenden Freundinnen. Sie wollen ausbrechen
aus diesem System. In noch während Francesca keine großen Chancen sieht,
jemals den Duft der großen weiten Welt einatmen zu können, ist Anna ganz
anderer Meinung und möchte ihr Leben richtig anpacken. Während sie mit den
Jungs auf dem Motorroller die Via Stalingrado auf- und abfahren, träumen sie
von der Insel Elba, die sie in der Ferne am Horizont sehen können und die für
sie schon ein Stück der großen weiten Welt bedeutet. Diese Atmosphäre wird
durch unterschiedliche Erzählperspektiven geschaffen, mit denen die Autorin
Sylvia Avalone experimentiert. Obwohl es im Wesentlichen um eine
Liebesgeschichte geht, ist es weitaus mehr als eine solche. Ein ganz großes
Thema sind schließlich die sozialen Spannungen die in dieser Region herrschen,
welche von der Stahlindustrie geprägt ist. Dennoch scheint alles mit
Leichtigkeit erzählt zu sein. Auch wenn das Leben trotz der blauen Flecke auf
den Armen so sorglos scheint und der Leser das Gefühl hat, die Mädel würden
einfach nur so in den Tag hinein leben.
Fazit
Obwohl ich anfangs skeptisch war und das Buch in die Ecke der Jugendliteratur
stellen wollte, wurde ich eines Besseren belehrt. Mich hat die Geschichte der
Mädchen gepackt. Ich habe sie gerne auf dem Weg ins Erwachsensein begleitet und
dabei Spaß gehabt. Ein weiteres Mal habe ich festgestellt, dass mich neben der
Spannung der Geschichte auch die Atmosphäre einfangen kann. Wenn dann beides
stimmt, um besser. Gerne volle Punktzahl.
Vorgeschlagen von Detlef Knut
[Profil]
veröffentlicht am 05. Juni 2013 2013-06-05 11:27:07