Louisa Clarke ist 27 Jahre und weiß nicht, was sie mit ihrem Leben anfangen
soll. Sie wohnt in einer Kleinstadt bei ihren Eltern und hat gerade ihren Job in
einem Café verloren. Da bekommt sie das Angebot als Pflegekraft zu arbeiten.
Will Traynor ist ein junger Mann, der auf der Sonnenseite des Lebens stand, bis
ihn ein Motorradfahrer erfasst. Seitdem ist Will gelähmt und vollständig auf
Hilfe angewiesen. Louisa fängt im Hause der Traynors an und muss erkennen, dass
Will ein Scheusal ist, der ihr die Arbeit alles andere als leicht macht. Doch
nach und nach kommen sich die beiden näher und es entwickelt sich eine
Freundschaft, da Louisa scheinbar die einzige ist, die einen echten Zugang zu
Will findet.
"Ein ganzes halbes Jahr" ist eines dieser Bücher, das einem schon
beim Lesen bewegt und nach dem Ende noch lange nachhallt. Jojo Moyes' Roman ist
keine platte Liebesgeschichte, sondern ein einfühlsamer, lehrreicher und
melancholisch-humorvoller Roman. Sie thematisiert ganz hervorragend die
alltäglichen Probleme von behinderten Menschen und greift dabei die Frage auf,
in wie weit ein selbstbestimmtes Leben noch möglich ist. Gerade unter diesem
Aspekt ist der Roman ein Genuss, da man sich beim Lesen immer wieder die Frage
stellt, wie man selbst in einer solchen Situation reagieren würde.
Aus handwerklicher Sicht ist mir vor allem ein Aspekt sehr positiv aufgefallen:
Die Autorin erzählt die Geschichte aus Louisas Sicht mit Hilfe eines
Ich-Erzählers. In vereinzelten Kapiteln wechselt sie jedoch die Perspektive, um
aus Sicht von Wills Eltern, seinem Therapeuten Nathan und aus Sicht von Louisas
Schwester zu erzählen. Auch hier arbeitet Jojo Moyes mit einem Ich-Erzähler
und schafft es dadurch, die Gedanken und Gefühle dieser Figuren besonders
intensiv zum Ausdruck zu bringen. Überhaupt ist der Roman wirklich gut
geschrieben. Die Autorin schafft es mit viel Sprachwitz die beiden so
unterschiedlichen Protagonisten zum Leben zu erwecken. Nach und nach muss gerade
Louisa erkennen, das ihr Leben bisher nicht so gelaufen ist, wie sie sich das
vorgestellt hat. Dazu zählt vor allem auch die langjährige Beziehung zu ihrem
Freund Patrick. Mit gefühlvollen Beschreibungen und tollen Dialogen lässt Jojo
Moyes den Leser an der wachsenden Beziehung von Lou und Will teilhaben. Der
Handlungsbogen steigert sich, da gerade zum Ende viele Gefühle angesprochen
werden. Das Ende ist weder kitschig noch unglaubwürdig, sondern eine logische
Konsequenz der hervorragend durchdachten Geschichte. Auch hier kann die Autorin
auf ganzer Linie punkten.
Fazit
"Ein ganzes halbes Jahr" ist ein Roman, der im wahrsten und
einfachsten Sinne zum Heulen schön ist. Jojo Moyes erzählt die bewegende
Liebesgeschichte zweier ganz unterschiedlicher Menschen. Der Roman kommt ohne
spektakuläre Höhepunkte aus. Vielmehr sind es die kleinen Begebenheiten, wie
ein missglückter Rennbahnbesuch, die der Handlung den letzten Pfiff geben.
Zielstrebig steuert die Geschichte auf ein Ende hin, das den Leser bewegt und
Diskussionsstoff liefert. Auch wenn ich in diesem Jahr noch viele Romane lesen
werde, vermute ich, dass es nicht allzu viel bessere mehr geben wird.
Vorgeschlagen von Michael Krause
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veröffentlicht am 12. Mai 2013 2013-05-12 13:31:07