Zur Zeit erscheinen zahlreiche Bücher, die sich kritisch mit der Innen- und
Außenpolitik der Vereinigten Staaten unter George W. Bush Junior
auseinandersetzen. Sie gehören, wie etwa Joseph Nye (Das Paradox der
Amerikanischen Macht), den linksliberalen Ostküstenestablishment an und in der
Politikwissenschaft zur Denkschule der Liberalisten bzw. Institutionalisten. Sie
kritisieren die neokonservative Denkschule von Wiliam Kristol und anderen
Vertretern dieser Richtung, die in der Bush-Administration heute die
Außenpolitik der Vereinigten Staaten bestimmen.
In seinem vorliegenden Werk übt Barber, scharfe Kritik an der
Präventivschlagdoktrin des amerikanischen Präsidenten. Er konstatiert, der
"gutmütige Hegemon" USA sei zu einem "Imperium der Angst"
geworden, das weder Freiheit noch Sicherheit fördere. An der Hegemonie der
Vereinigten Staaten bestehe kein Zweifel (S. 18), das Militärbudget von derzeit
350 Milliarden Dollar sei mehr, als die nächsten ca. fünfzehn Staaten aus der
Rangliste der rüstungsstarken Nationen zusammen für ihre Verteidigung
ausgäben. Doch gerade diese beispiellose Macht schwäche die Stellung der USA
ebenso, wie sie sie stärke, "denn sie kostet sie die Zuneigung derjenigen,
über die sie ihre schützende Hand halten". Hier fällt die starke
Ähnlichkeit zur Argumentation von Joseph S. Nye auf. Auch dieser argumentiert
ja dahingehend, nur mit ihrer "Soft Power", also den sogenannten
"weichen" und "kulturellen" Faktoren könne die USA Vorbild
sein und letztlich nur als "gutmütiger Hegemon" langfristig Erfolg
haben. Die militärische Macht der USA nütze gegen die nahezu unsichtbaren und
überaus beweglichen Kräfte des globalen Terrorismus nichts - so Barber.
"Die amerikanische Militärmacht kann ganze Länder ausradieren, aber
terroristische Zellen und ihre Führer lassen sich auf diese Weise nicht
ausschalten. Sie wissen, dass die Angst ihr Verbündeter ist."
Barber analysiert eingehend die Nationale Sicherheitsdoktrin der USA und
kritisert sowohl "Pax Americana" und die "neue" Doktrin des
präventiven Krieges. Der "Bush-Doktrin" mit ihrem Zitat: "Wir
dürfen unsere Feinde nicht als Erste zuschlagen lassen" wird ein Zitat des
US-Präsidenten Truman (1945-1953) gegenübergestellt, mit dem George W. Bush
Junior ja häufig verglichen wird: "Nichts ist törichter, als zu glauben,
man könne Krieg durch Krieg beenden. Man kann durch Krieg nichts verhindern,
außer den Frieden". Interessant für mich war, dass Barber glaubt, dass
die offiziell veröffentlichte Bush-Doktrin nicht die vollständige Fassung
dieser Doktrin sei: "Nach Informationen der Washington Post existiert von
der Denkschrift eine geheime Langfassung, die "sogar noch weiter geht"
und "einen Bruch mit fünfzig Jahren US-amerikanischer
Nichtverbreitungs-Politzik vollzieht, indem sie Präventivschläge gegen Staaten
und terroristische Gruppen autorisiert, die dem Erwerb von
Massenvernichtungswaffen oder von weitreichenden Raketen, die solche Waffen
expedieren, nahe sind." Dahinter stehe die Idee, Komponenten solcher
Systeme zu zerstören, bevor sie einsatzbereit sind." (S. 85). Gedacht als
Antwort auf neue Gefahren, rufe diese Präventivdoktrin neue Risiken auf den
Plan. George Kennan, den weit über 90-jährigen "Doyen der amerikanischen
Realpolitiker", zitierend, konstatiert Barber, "jedem, der Geschichte
studiere, müsse klar sein, "dass man in einen Krieg vielleicht mit
bestimmten Vorstellungen hinein geht", dass im Kriegsverlauf aber sehr
schnell Entwicklungen eintreten, "an die vorher keiner gedacht
hat."" (S. 86).Der Verlauf des Irak-Krieges, vom "Stern" als
"zweites Vietnam" bezeichnet, dürfte dies deutlich illustrieren. Auf
jeden Fall ist der Feststellung Barbers meines Erachtens voll zuzustimmen, der
sagt: "Wenn man zuerst schießt und erst hinterher Fragen stellt, öffnet
man tragischen Fehlkalkulationen Tür und Tor. Indem die USA die traditionelle
völkerrechtliche Doktrin der Selbstverteidigung über Bord werfen, statuieren
sie ein verhängnisvolles Exempel für andere Staaten, die für sich ebenfalls
eine exzeptionalistische Logik in Anspruch nehmen." (S. 87). Und dies ist
in der Tat für mich die Gefahr an der neuen "Bush-Doktrin": wenn das
Völkerrecht durch Bush missachtet wird, werden sich andere Staaten daran ein
Beispiel nehmen und dies ebenfalls tun. So stimmt Barbers Feststellung:
"Die Vereinigten Staaten haben in ihrer Geschichte zwar schon eine Reihe
von Präventivkriegen geführt, doch als offiziell propagierte Doktrin stellt
die Lehre vom Präventivkrieg eine radikale Abkehr von den bisherigen
Traditionen des strategischen Denkens und der praktischen Kriegsführung der USA
dar." In allen bisherigen fällen sei der Versuch unternommen worden,
derartige Aktionen nachtäglich zu legitimieren - entweder durch die
US-Verfassung oder durch das Völkerrecht. "In allen diesen Fällen mag
doppelte Moral im Spiel gewesen sein, aber jedenfalls erwiesen die Vereinigten
Staaten den geltenden Rechtsnormen und dem Gebot der Selbstverteidigung insofern
noch ihre Reverenz, als sie bestritten, gegen sie verstoßen zu haben."
Die Ängste durch die Anschläge des 11. September 2001 hätten diesen Konsens
gründlich zerstört. Die Anschläge legitimierten die neue Nationale
Sicherheitsstrategie und setzten Bush in die Lage, "die harte Linie, die er
schon ein Jahr lang in Kabinettssitzungen erprobt hatte, endlich als offiziellen
politischen Kurs zu vertreten." (S. 92). Niemand solle sich darüber
wundern, dass diese Logik Nordkorea in Panik und in einen Zustand realer Angst
versetzt habe. Dass Nordkorea und der Iran sich bedroht fühlten und daher
Atomwaffenprogramme entwickelten, sei daher nicht verwunderlich. Außerdem
verenge die Bush-Doktrin die Wahrnehmung der Administration auf rein
militärische Aspekte und gerate in zunehmende Abhängigkeit zu ihren
Streitkräfen.
Dies ist alles richtig. Selten hat ein Buch die Gefahr der neuen Außenpolitik
der gegenwärtigen US-Administration unter George Bush junior so treffend
dargestellt. Er gehört, wie Leslie Gelb zu recht anmerkt, zu den klügsten
Kommentatoren amerikanischer Politik und Kultur. Nur die Entwicklung einer
"Lex Humana und einer "civil world", einer globalen
Zivilgesellschaft engagierter Demokraten und Bürger fördere den Frieden. Nur
eine nach völkerrechtlichen Grundsätzen funktionierende internationale
Ordnung, "namentlich eine, in der die Vereinigten Staaten ihr politisches
Gewicht dafür einsetzen, kongeniale Regeln des Zusammenlebens zu entwickeln,
bietet die denkbar beste Gewähr dafür, dass Amerika seine Interessen wahren,
seine Macht erhalten und seinen Einfluss ausweiten kann." (S. 250)
Abschließend wird Präsident Eisenhower (1953-1961), ein Republikaner, mit den
Worten zitiert, dass es ohne Recht keinen Frieden geben könne. Wie wahr. Es
wäre gut, wenn sich diese Einsicht wieder in der US-Politik durchsetzen würde.
Fazit
Es handelt sich um eine der scharfsinnigsten Analysen der derzeitigen
US-Außenpolitik. Unbedingt lesenswert, wenn man auch die Sichtweisen der
Neokonservativen um Bush, etwa in dem Werk von Robert Kagan: "Macht und
Ohnmacht" unbedingt ebenfalls zur Kenntnis nehmen sollte, da dieses Buch
die Sichtweise der Bush-Regierung und - vermutlich - der (knappen) Mehrheit der
breiten amerikanischen Bevölkerung vermittelt.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 09. Dezember 2003 2003-12-09 20:31:15