So, ich habe das Buch jetzt über Ostern komplett durchgelesen, um mir ein
eigenes Urteil zu bilden. Der Inhalt ist bekannt: Hitler erwacht im Sommer des
Jahres 2011 in Berlin, findet sich dort zunächst in der "schönen neuen
Welt" nicht zurecht, macht aber dann Karriere beim Fernsehen. Der kürzlich
verstorbene bayerische Schriftsteller Herbert Rosendorfer hatte vor 30 Jahren
einen Mandarin aus dem 10. Jahrhundert per Zeitmaschine in das heutige München
versetzt und dies zum Anlass genommen, Deutschland aus der Perspektive des
Jahres 1983 "aufs Korn zu nehmen".
Genau dies tut auch Timur Vermes in seinem Buch. Auch er nimmt eine Figur - hier
die von Hitler - um die Zustände im Deutschland des Jahres 2012 "auf Korn
zu nehmen." Passagen aus "Mein Kampf" dienten Vermes zur Vorlage,
um seinen Hitler erschreckend realistisch in seinem Wahn zu zeichnen. Dies ist
Vermes zwar gelungen, was die politischen Aussagen Hitlers betrifft. Das
verbohrte rassistische Gedankengut des Diktators, seine wahnwitzige
"Weltanschauung" kommen in diesem Buch durchaus gekonnt herüber.
Aber dennoch überzeugt das Buch - im Gegensatz zu Rosendorfers Werk - mich ganz
und gar nicht. Warum? Hitler war humorlos, exaltiert, intolerant und - in den
Worten von Sebastian Haffner - ein "grausamer Herrscher", der
mindestens sechs Millionen Juden ermorden ließ. Immer "recht" haben,
nie nachgeben, war seine Devise. "Mein ganzes Leben war Überreden"
sagte er 1942 im Rückblick auf seinen Aufstieg und seine Versuche, über den
damaligen Staatssekretär Meißner im Präsidialamt an Reichspräsident von
Hindenburg heranzukommen und diesen zu "überzeugen", ihm, Hitler, die
Macht zu übertragen. Mit Verstellung, List, Demagogie und Überredungskunst
gelang es Hitler schließlich, das Vertrauen des Präsidenten zu erlangen und
1933 mit der Regierungsbildung beauftragt zu werden. Dabei half ihm, dass er von
seiner Idee oder seinem Wahn so überzeugt war, dass es ihm gelang, einen
Großteil der Bevölkerung zu täuschen und letztlich auch den
Reichspräsidenten - anfangs skeptisch - dazu zu bringen, ihm die Macht
anzuvertrauen.
In der heutigen Zeit wäre dies aber nicht möglich. Aufgrund der Informiertheit
der Bevölkerung, der politischen Aufklärung, unserer politischen Kultur,
geprägt durch die Schrecken des sogenannten "Dritten Reiches", hätte
ein solcher Demagoge keine Chance. Hitlers Charaktereigenschaften - vor allem
seine Unfähigkeit, Kompromisse einzugehen, sein "Mangel" an
"Geschmeidigkeit" und "Diplomatie" würden es meines
Erachtens einem Wieder- oder Doppelgänger kaum erlauben, mit Hitlers Parolen
Erfolg zu haben.
Dies weiß auch Vermes. Und was tut er. Er erschafft eine Figur, die
charakterlich so gar kein "Hitler" ist. Der Vermes-Hitler erscheint
geschmeidig, kompromissbereit, werbend. So wirbt er, um seine Sekretärin zu
halten, bei deren Mutter, deren Familie in den KZs umgekommen war. Dies ist
meines Erachtens nicht nur geschmacklos, es zeigt, was der Figur fehlt:
charakterliche Authentizität. Dieser Hitler ist - im Gegensatz zu Rosendorfers
Mandarin - nicht authentisch. Er kann es nicht sein, weil er eben in unserer
Gegenwart aufgrund unserer politischen Geschichte erfolglos wäre. So
"real" der "politische Hitler" gezeichnet ist, so sieht doch
jeder: diese Figur "ist" nicht der wirkliche Hitler. Und daher hat auf
mich dieses Buch keinen Reiz. Rosendorfers Mandarin wirkt authentisch, sein
Staunen über die reale Welt im Jahre 1983 wirkt "authentisch",
"echt", Vermes Hitler nicht. Ich hatte das Gefühl, Vermes wollte eine
Satire über das heutige Deutschland schreiben und suchte eine Figur, die die
Leser "anziehen" würde, um seine politische Satire zu verkaufen. Er
nahm Hitler. Dies ist legitim, aber eben ein Wagnis, wenn dieser Hitler
"nicht echt", nicht "authentisch" ist.
Natürlich gibt es Szenen, die durchaus gelungen sind - und dass der reale
"Hitler" gegen Ende des Buches von Neo-Nazis zusammengeschlagen wird,
weil sie sich mit ihrer Ideologie vom Vermes-Hitler "auf den Arm
genommen" fühlen - ist natürlich ein Gag. Er zeigt aber - m.E. ungewollt
- genau das Problem des Buches: Hitler kann nicht überzeugen, er ist nicht
"echt" (was den Neo-Nazis hier sofort auffällt, während die anderen
Personen an eine perfekte Imitation Hitlers durch einen perfekten Schauspieler
glauben, aber eben auch nicht an einen "echten Wiedergänger"), denn
sonst hätten sie dafür gesorgt, dass dieser Wiedergänger im Gefängnis landen
würde); letztlich der Vermes-Hitler also niemanden von seiner Echtheit, seiner
"Authentizität" überzeugen kann. Dies wäre aber notwendig, um der
Satire von Timur Vermes wirkliche Überzeugungskraft zu verleihen. Dies gelingt
meines Erachtens nicht. Und damit fällt aus meiner Sicht das ganze Buch. Ein
netter Versuch - mehr aber auch nicht.
Fazit
Ich gehöre nicht zu denjenigen, die der Meinung sind, man dürfe mit Hitler
keine Satire machen. Doch, dies darf man durchaus. Aber es ist schwer, denn
Hitler ist so eindimensional bösartig in seinem Charakter, so humorlos, dass er
schwer zur Satirefigur taugt, weil er eben - wenn man ihn dazu machen will -
"unecht" wirkt. Aufgrund der eindemensionalen Charaktereigenschaften
Hilters eine überzeugende Hitler-Nachahmung zu schaffen ist äußerst
schwierig, vielleicht ist dies gar unmöglich. Zumindest hat mich Vermes Versuch
nicht überzeugen können.
Das Hörbuch hingegen ist wirklich genial gelesen von Christoph Maria Herbst,
der Hitlers Stimme wirklich beklemmend "echt" herüberbringt. Meine
obige Rezension bezieht sich daher auf die Buchausgabe.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 03. April 2013 2013-04-03 22:34:51