Mit dem Titel "Kiepenkerls unernste Sicht der Tatsachen" wusste ich
erst einmal wenig anzufangen. Interessant wurde Kiepenkerls Kompendium, als ich
feststellte: sein Verfasser, Armin Berninghaus, kommt aus der Wirtschaft - und
nimmt die Wirtschaft aufs Horn - bemerkenswert! Denn man kennt zwar die
Spötteleien der tagtäglichen Feuilletons über optimalitätsorientierte
Manager, Banker, die uns an den Rand des Geldsegens treiben, Nadelstreifen
aufsaugende Startups und die überschwängliche Kosumgeilheit des trögen
Pöbels, aber Armin Berninghaus dringt tiefer, und die Satire drängt ihn,
Berninghaus, zu immer bissigeren, lebhafteren, gewaltigeren Sticheleien - es
zähle "zu den herausragenden Leistungen der Volkswirte, die
wirtschaftlichen Modelle durch Prämissen so zu verfremden, dass sie mit der
Wirklichkeit nicht mehr übereinstimmen. Erstaunlich ist nur, dass die
Makro-Ökonomen ceteris paribus (unter diesen Umständen) selbst an die
luftschlossorientierten Erkenntnisse glauben. Vermutlich heiligt der Zweck die
Mittel. Wie sonst könnte man ganz nach Belieben die Anbieter oder Verbraucher
mit vollkommener Markttransparenz ausstatten, die Produkte ohne
Transaktionskosten in Einheit von Zeit und Raum mit unendlicher Geschwindigkeit
substituieren oder alle Marktteilnehmer nach dem ökonomischen Prinzip handeln
lassen, gerade so, als würden Scheinleistung und Blindleistung in der
betrieblichen Praxis keine Rolle spielen. In der Praxis sieht alles anders aus.
Dort handeln Menschen auf der Grundlage unzureichender Informationen unter dem
Druck realitätsfremder Vorgaben, sind ausgestattet mit schlechten
Produktionsmitteln und werden terrorisiert von Nachfragemonopolisten oder
unausstehlichen Chefs". Nicht nur in diesem Beispiel gelingt Berninghaus
eine bravouröse Verknüpfung von Wirtschaftssatire und Wirtschaftswissenschaft.
Fazit
Anfangs fühlt man sich leicht überrannt von der Ideengewalt in
"Kiepenkerls Sicht", zusätzlich schreibt Berninghaus sehr verdichtet,
sein Vokabular lebt von Innovationen, Vorwissen scheint nötig; kein Leser wird
dieses famose Buch in einem Zug durchlesen, Berninghaus ist inhaltlicher und
formaler Artist zugleich. Aber die Lektüre lohnt sich!, Kiepenkerls gut 80
Satiren und Glossen bilden vielleicht das derzeit amüsanteste Wirtschaftsbuch;
nicht nur für BWLer eine viel versprechende Investition.
Vorgeschlagen von Paul Niemeyer
[Profil]
veröffentlicht am 04. Dezember 2003 2003-12-04 20:11:02