Ein nüchternes, sachliches und wichtiges Buch
Weder emotional, philosophisch noch abstrakt fachlich legt Gian Domenico Borasio
mit seinem schmalen Buch auf gut 200 Seiten einen nüchternen, sachlichen,
überschaubaren und dennoch in der Atmosphäre warmen Bericht über jene
Kenntnisse vor, die mit dem Sterben zu tun haben.
Was ist der Stand der Dinge? Was können wir alle tun? Wie können sich Menschen
auf das Sterben einstellen? Das sind die Kernfragen, denen sich Borasio in
kompetenter Weise zuwendet, ohne das Buch fachlich zu überfrachten. Vielleicht
mögen manche Leser daher am Ende der Lektüre einen gewissen fachlichen
Tiefgang vermissen, gerade aber in der gewählten Darstellungsform bietet das
Buch einen höchst öffnenden Zugang zu dieser existentiellsten Frage des
Menschen und folgt daher in bester Form den Zielen, die isch Borasio mit dem
Buch setzt.
Am Beispiel der Kapitel über Nahtod Erfahrungen wird die Darstellungsweise und
die Zielrichtung Borasios exemplarisch deutlich. Auf wenigen Seiten bietet er
eben keine ausführliche und mit Fachausdrücken gespickte Zusammenfassung
wissenschaftlicher Erkenntnisse, beschreibt aber sehr wohl sachlich das
Phänomen an sich völlig zureichend und zieht die für ihn entscheidende
Schlussfolgerung: Da Menschen, die eine solche Erfahrung erlebt haben, deutlich
weniger Angst vor dem Tod nachher zeigen, ist dies Grund genug, dem Phänomen
positiv gegenüberzustehen. (Wer mehr über die einzelnen Punkte Borasios
erfahren möchte, der sei verwiesen an ausreichend dargelegte Literaturhinweise
im Huge der Anmerkungen am Ende des Buches).
Denn genau dies ist das eigentliche und ausgesprochene Ziel des Buches, welches
der Palliativmediziner Borasio aus seiner langjährigen Erfahrung heraus
konzipiert: Viele Menschen verhalten sich dem Tod und Sterben gegenüber, selbst
wenn sie hoch gebildet sind, erstaunlich irrational. Eine Irrationalität, die
aus intensiver Angst heraus entsteht, Eine Angst, die umso stärker sich
bemerkbar macht, je weniger der Mensch über das Thema Sterben weiß und je
weniger er sich diesem sicheren Erlebnis gegenüber Gedanken gemacht hat.
"Angst ist das größte Hindernis für die Kommunikation über und im
Sterben und mit der Hauptgrund für leidvolle Sterbeverläufe."
Allein schon seine Einlassungen gegenüber den verbreiteten Fantasien und
Ängsten vor einem scherzvollen und leidvollen körperlichen Sterben, denen der
Palliativmediziner ruhig entgegnen kann, dass dem körperliche Leiden des
Sterbens heutzutage grundlegend begegnet werden kann, nehmen hier einen gut Teil
Angst hinfort und können den Blick für eine reflektierte Betrachtung des
Sterbens weiten. Wie überhaupt das entscheidende Elemente eines eben
nicht-leidvollen Sterbens für Borasio die Kommunikation in vielfältiger Form
ist. Zwischen Arzt und Patienten. Innerhalb der Familie. Und auch die innere
Kommunikation des Menschen hat eine wichtige Funktion auf dem Weg des Sterbens.
Wunderbar, wie Borasio als Mediziner hier auch den schwer in Worte zu fassenden
bereich der Spiritualität mit anführt. Eine übergreifende Spiritualität, die
sich nicht auf eine bestimmte Religionsform einengen lässt.
Borasio räumt in unaufgeregter Weise auf mit einem kaum vorhandenen Wissen und
vielen angstvollen Fantasien. Wunsch und Wirklichkeit zum Tod legt er
statistisch dar und zeigt die Implikationen auf. Welche Betreuungsformen wichtig
sind am Ende des Lebens, welche Elemente das Sterben in den Blick rücken.
Medizinische Notwendigkeiten gegen Verhungern und Verdursten, was an Problemen
alles auftauchen kann und wie man diesen begegnet, was zum Thema Sterbehilfe zu
sagen ist aus heutiger Sicht und, natürlich, verweist er mehrfach (und zu
Recht) auf die wichtige Funktion der Palliativmedizin im Sterbeprozess. Ebenso
aber auch darauf, das ein ständiges Beiseiteschieben des Todes und eine
Verlagerung aus der "Lebensmitte" des Zu Hauses und der Familie heraus
auf Dauer die Probleme der Angstfantasien nicht lösen, eher noch verstärken
wird.
Fazit
Ein ruhiges, beschreibendes, dem Menschen zugewendetes Buch, welches Angst
nehmen kann, Wege aufzuzeigen versteht und dem Sterben den letztlich
vorhandenen, existentiellen Ort im Leben frei räumen kann, den das Sterben nun
einmal (neben der Geburt) hat. Unbedingt empfehlenswert.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 04. Oktober 2011 2011-10-04 12:57:12