In Wer Korn klaut, muss gehen widmete sich der 1939 geborene und nahe
Schwäbisch Hall aufgewachsene Autor Heinrich Maurer dem Schicksal einer Familie
im 20. Jahrhundert. Mitte des vergangenen Jahrhunderts siedelt der Fachbuchautor
und langjährige Chefredakteur des Württembergischen Wochenblatts in Stuttgart
auch das Geschehen in seinem aktuellen Roman Milchsuppe und Malzkaffee an. Darin
geht es um Leo, einen Handwerkersohn aus einem kleinen süddeutschen Dorf. Nach
dem viel zu frühen Tod seiner Mutter ändert sich alles. Lachen und Liebe sind
fortan unter der strengen Hand seiner Stiefmutter bloße Erinnerungen. Doch
obwohl sein Leben eingangs kaum Perspektiven bietet, tun sich dem Jungen, der
gerne in Fantasiewelten flüchtet, ungeahnte Wege auf. Weil der Dorflehrer mehr
in ihm sieht als alle anderen, wird Leo selbst Lehrer und träumt schon von
einem besseren Leben. Dann allerdings landet er zu seiner großen Enttäuschung
in einem abgelegenen Schwarzwalddorf.
Leo hat also wenig zu lachen. Auch Maurers LeserInnen geht es so. Zu trist und
trostlos, zu hart und ungerecht beschreibt Maurer die damalige Zeit. Dabei
lässt er auch Leos übrige Familie nicht außen vor, denn die teilt sein Los.
Niemand will die neue Stiefmutter im Haus haben, die nicht nur die Kinder,
sondern auch ihren Vater so triezt, dass er Jahr um Jahr stiller und
hoffnungsloser wird. Auch Bekannte und Freunde, sofern man in diesem
Zusammenhang davon sprechen kann (ich würde es eher Zweckgemeinschaft nennen),
finden Erwähnung.
Passend zur damaligen Zeit wählt der Autor seinen Schreibstil. Ohne
wortmalerische Schnörkel beschreibt er nicht nur eine dichte, authentisch
wirkende, örtlich und zeitlich gegebene Hintergrundatmosphäre, sondern hebt
auch den rücksichts- und lieblosen Umgang innerhalb oder das teils
herablassende Verhalten außerhalb der Familie sehr deutlich damit hervor.
Daraus ergibt sich jedoch eine Distanz, die es mir lange Zeit erschwerte bis
unmöglich machte, mich mit einzelnen Charakteren anzufreunden. Leo etwa blieb
mir bis kurz vor Ende des Romans völlig fremd und unsympathisch. Sein Vater und
mittlerer Bruder ebenso. Leos älterer Bruder, seine Schwester Louise, sein
Freund Friedrich oder seine spätere Familie aus dem Schwarzwald hatten es da
schon leichter. Doch einzig die Person, die grundsätzlich von ihrer
Beschreibung her am wenigsten Sympathiepunkte für sich einfordern konnte, hatte
von Beginn an mein Mitgefühl. Ausgerechnet die herrschsüchtige, kalte
Stiefmutter weckte den Wunsch, mehr über sie zu erfahren. Genau damit geizt der
Autor allerdings. Erst gegen Ende seines Romans geht er etwas näher auf sie ein
und erst da, gewannen dann Leos Geschwister noch so etwas wie Respekt, obwohl
ihr Wandel nicht so recht zu ihrem vorherigen Verhalten passt. Mit dem für mich
egoistisch wirkenden Leo selbst versöhnte ich mich erst mit seiner Entscheidung
im Bezug auf seine spätere Familie. Dessen ungeachtet wirkte aber keine
einzige Figur unglaubwürdig oder völlig erfunden auf mich.
So kam es, dass ich es nicht schaffte, das Buch beiseitezulegen, obwohl ich mich
anfangs mit Maurers Roman überaus schwer tat. Vieles erschien mir zu weit von
der heutigen Zeit entfernt und nur schwer vorstellbar. Doch nachdem ich mir
diverse Gespräche mit Zeitzeugen in Erinnerung rief, die in ähnlichen
Verhältnissen aufwuchsen, wurde mir schnell klar, dass die Handlungen und
schemenhaft aufblitzenden Emotionen, die sonstige Gefühlskälte ebenso wie die
Hoffnungslosigkeit den ortsgebundenen, morbide-düsteren, sozialen Zuständen
der damaligen Zeit und dem Überlebenskampf geschuldet waren und in diesem
Zusammenhang glaubwürdig und verständlich sind.
Fazit
Kein Roman für nebenbei, obwohl die einfache Sprache dafür sorgt, dass man ihn
recht schnell lesen kann. Auch kein Roman, der die Massen begeistern dürfte.
Vielmehr eine existenzialistische Geschichte, in der die Träume und Wünsche
von Freiheit und Selbstbestimmung immer wieder in den tatsächlichen
Gegebenheiten zu ersticken drohen und doch nie ganz untergehen. Eine Geschichte,
die zeigt, dass man sein Leben selbst in die Hand nehmen kann und muss und egal
wie die Umstände sind, immer noch den Weg der freien Entscheidung wählen kann.
Eine Geschichte, die mich überraschend in ihren Bann zog und der ich entgegen
meiner anfänglichen Meinung die volle Punktzahl geben möchte.
Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)
Vorgeschlagen von Ati
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veröffentlicht am 22. März 2013 2013-03-22 11:01:13