Stimme der mäßigenden Vernunft - "Der Islam ist binnen kurzer Zeit zum
Reizthema geworden"
Doch die vielfachen, teils hitzigen, teils kühlen Diskussionen über "Den
Islam" in Deutschland, über "Parallelgesellschaften" oder
"geglückter Integration" beruhen nicht immer auf breitem
Faktenwissen. Daher ist es ein durchaus gutes Ansinnen des Vorsitzenden des
Zentralrats der Muslime in Deutschland, konkret aus dem Alltag zu erzählen, aus
dem, wie differenziert und vielfältig, aber auch wie integriert die Mehrzahl
der in Deutschland lebenden Muslime ihr Leben in dieser Gesellschaft
gestalten.
Und ebenso gut ist es, dass Mazyek direkt im Vorwort sich an "die
muslimische Adresse" mitwendet, um die "reine Reproduktion der eigenen
Geschichte" als einfach nicht hilfreich (und letztlich auch nicht gangbar)
für die Gestaltung der Zukunft alleine und konkurrenzlos zu setzen. "Nur
der Dialog der Kulturen wird letztlich dazu führen, die Welt auch mit den Augen
des Anderen zu sehen". Und eine Basis für diesen Dialog ist dann einfach
auch die Kenntnis über das alltägliche Leben des je Anderen. Wobei im
Hinterkopf behalten werden muss, dass Mazyek nicht nur privat als Autor ein Buch
verfasst, sondern zugleich der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in
Deutschland ist und dabei immer auch die Interessensvertretung im Sinn hat.
Im Folgenden muss dann auch der Titel des Buches bei der Lektüre doch um
einiges revidiert werden. Wer erwartet, hier nur handfeste
"Alltagsmomente" geschildert zu lesen, muss sich dann auf einen eher
kleinen Teil des Buches konzentrieren und diesen dann vor allem auch aus der
subjektiven Sicht Mazyeks erläutert bekommen. Ob alle Muslime Weihnachtsgrüße
schrieben und dabei an die bedeutende Rolle Jesu im Islam nachsinnen, mag dabei
dahingestellt bleiben, denn eine breite Befragung oder Betrachtung liegt den
Äußerungen nicht erkennbar zugrunde.
Mazyek selbst schlägt im Buch vor allem einen großen Bogen in seinen
Betrachtungen. Beginnend bei einer durchaus klaren Absage an den Terrorismus
(den er als nicht islamisch in Teilen kennzeichnet, auch das wieder nur aus
seiner Sicht verständlich), führt Mayek dann eigene Erinnerung an die Heimat
(kurz) und damit die eigene Prägung vor Augen, bevor er dazu übergeht, die
Geschichte des Islam, die Vielfalt seiner Interpretationen und ein Plädoyer
für den Dialog und den gegenseitigen Respekt zwischen Morgen- und Abendland zu
halten.
Gut gelungen ist dabei die breite Darstellung dessen, "was Muslime
glauben", auch wenn die subjektive Darlegung der "fünf Säulen des
Islam" und die Einlassungen zu Scharia, Fatwa, Dschihad und anderem
natürlich an anderen Stellen der muslimischen Welt und der muslimischen
Haltungen ganz anders interpretiert werden können (was im Buch nicht
ausreichend vertieft wird).
Nach diesem breiten und allgemeinen Vorlauf schildert Mazyek dann den konkreten
Alltag. Die muslimischen Feste, die Traditionen, wobei er auch strittige Themen
wie die Knabenbeschneidung, Heirat und Ehe, die Stellung der Frau im Islam und
vieles mehr nicht auslässt. Das Matyek dabei liberale Haltungen einnimmt und
für eine Haltung der Versöhnung zwischen Tradition und Moderne steht, ist
dabei umgehend zu merken.
Damit schafft das Buch einen "guten Anfang" könnte man sagen. Ein
muslimisches Nachdenken über die eigene Tradition und Haltung in einer
differenzierten Welt, die dem Leser vielfache Informationen eben über und aus
diesem Alltag zur Verfügung stellt und zum Diskurs einlädt. Ein Buch, in dem
sich Matyek erkennbar zugleich offen und kritisch an alle Seiten der Beteiligten
wendet.
"Es gibt nicht zwei Welten für mich. Beides bildet meine Identität".
Fazit
Wobei bei der Lektüre deutlich bleiben muss, dass Mazyek aus seinem
persönlichen Verständnis von Islam, dessen freiheitlicher und barmherziger
Auslegung und der eigenen "Identität" heraus spricht. Und den
"anderen", radikalen Islam nicht immer intensiv genug eben auch als
Teil der muslimischen und der eigenen Identität in den Blick nimmt.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 29. Juni 2016 2016-06-29 08:30:42