Laut Süddeutscher Zeitung verlieren wir uns dank den literarischen Talenten von
Vosseler in Raum und Zeit. Vosseler, die 1972 in Villingen-Schwenningen geboren
wurde, studierte Literaturwissenschaften und Psychologie, widmet sich heute
jedoch ganz dem Schreiben. Aus ihrer Feder stammen erfolgreiche Romane wie
Sterne über Sansibar oder Der Himmel über Darjeeling. Ich selbst habe
beispielsweise ihr Buch Südwinde im Regal. Und seit Kurzem auch ihren
Fantasy-Jugendroman In dieser ganz besonderen Nacht.
Der handelt von der 16jährigen Amber, deren Mutter den Kampf gegen einen
unheilbaren Gehirntumor verloren hat. Durch eine zuvor getroffene
Sorgerechtsvereinbarung soll sie künftig bei ihrem Vater leben, zu dem jedoch
zuvor kein allzu enger Kontakt bestand. Ted lebt zudem nicht in Deutschland,
sondern in San Francisco. Gefangen in ihrem Schmerz erkennt Amber anfangs nicht,
wie sehr sich ihr Vater um sie bemüht. An der neuen Schule fühlt sie sich
ebenfalls nicht wirklich wohl, obwohl sie durchaus freundlich aufgenommen wird.
Einzig mit Nathaniel freundet sie sich an. Ein Obdachloser, wie sie vermutet,
etwas älter als sie, der in einem leer stehenden Haus lebt. Schon bald fühlt
sie sich zu ihm hingezogen und auch Nathaniel ist ihr nicht ganz abgeneigt.
Dennoch bleibt er auf Distanz. Als Amber erfährt, warum das so ist, droht sie
völlig zusammenzubrechen. Hat der Tod ihrer Mutter Amber um den Verstand
gebracht, oder ist Nathaniel wirklich ein Geist? Noch dazu einer, in den sie
sich so einfach verlieben kann?
Dass er tatsächlich nicht lebendig aber auch nicht wirklich tot ist, stellt
sich bald heraus, doch wie sollen die beiden jetzt zusammenkommen? Vor allem,
was für Konsequenzen können sich daraus ergeben? Diese Fragen treiben nicht
nur Amber um, sondern auch ihre kleine Clique, in der jeder eine ungewöhnliche
Fähigkeit besitzt. Ebenso stellt sich natürlich die Frage, warum Nathaniel
überhaupt zum Geist geworden sein könnte. Die Situation spitzt sich zu, als
Amber und Nathaniel eine gemeinsame Nacht verbringen, in der alles anders ist
als sonst.
Die Grundidee (Beziehung zwischen Mensch und übernatürlichem Wesen) ist
grundsätzlich nicht ganz neu. Doch Vosseler hat sie gut und interessant
umgesetzt. Und das sowohl für das jugendliche Zielpublikum als auch für
ältere LeserInnen wie mich.
Die Geschichte besteht aus drei gleichwertig zu betrachtenden
Handlungssträngen. Zum einen ist da natürlich die sich anbahnende,
problematische Beziehung zwischen Nathaniel und Amber. Der Zweite dreht sich um
den Tod von Ambers Mutter und Ambers daraus resultierende Verzweiflung und
Trauer. Im Dritten geht es um Ambers Clique, die quasi den relativ normalen
Alltag beschreibt, auch wenn die einzelnen Mitglieder gar nicht so alltäglich
sind. Ebenso kommt deren nicht immer einfache Vergangenheit zur Sprache.
Größtenteils wird die Geschichte von Amber selbst erzählt, einige Kapitel
jedoch auch von Nathaniel. Diese unterscheiden sich nicht nur die kursive
Schrift gut vom Rest.
Eine Erzählung aus dieser Perspektive bietet immer den Fallstrick, dass
Emotionalität recht einseitig daherkommt, da man eben nur die Seite des
Erzählers wirklich betrachten kann. Hinzu kommt, dass die Autorin sehr
detailverliebte Beschreibungen in die Geschichte eingearbeitet hat, die nicht
wirklich zu ihrer Entwicklung beitragen. Dies trägt zu einer dichten und
authentischen Hintergrundatmosphäre bei. Ungeduldige kann es jedoch stören,
weil dadurch das Erzähltempo gedrosselt wird. Wer also eine schnelle
Handlungsentwicklung liebt, sollte eventuell die Finger von dem Roman lassen.
Der letzte Absatz hört sich jetzt schlimmer an, als es in Wirklichkeit ist.
Richtige Längen gab es nicht für mich. Vosseler hat einen Roman geschaffen, in
den ich tatsächlich recht schnell eintauchen und - wie schon der Verfasser des
Zitats der Süddeutschen Zeitung formuliert hat - mich in Raum und Zeit
verlieren konnte. Jedenfalls größtenteils, obwohl ich weit über der
anvisierten Altersgrenze liege. Das war zum Teil gerade der detailverliebten
Wortmalerei geschuldet. Obgleich ich noch nie in San Francisco war, konnte ich
mir beispielsweise die Straßenzüge gut vorstellen, egal ob sie nun
nebelverhangen oder glasklar beschrieben wurden. Allerdings hätte die eine oder
andere Kleinigkeit einmal beschrieben gereicht. Vosselers Schreibstil liest sich
darüber hinaus leicht, was über besagte Wiederholungen gut hinweghilft. Ihren
Schreibstil mag ich auch deshalb, weil er nicht (wie in manch anderem
Jugendbuch) gewollt jugendlich-cool ist und die Dialoge lebendig wirken.
Was mir ebenfalls gut gefällt, ist der Umstand, dass das spukige Fantasyelement
nicht Ambers traurige und traumatisierende Vorgeschichte erschlägt und
umgekehrt. Und dass Ambers Clique trotz ihrer Andersartigkeit eher bodenständig
skizziert wird. In der Clique wird zwar das Geisterthema bzw. die Auswirkungen
einer Beziehung zwischen Amber und Nathaniel diskutiert, jedoch größtenteils
normal und nicht wie in anderen Romanen auf eine Art und Weise, die mich schon
diverse Male dazu gebracht hat, die Augen zu verdrehen. Das geschieht nämlich
immer dann, wenn niemand eine Ahnung von irgendwas hat, aber sofort mit einer
superschlauen, pseudowissenschaftlich wirkenden Antwort auf Fragen aufwarten
kann, die gerade erst aufgekommen sind. Vosselers Charaktere sind ein
sympathischer, kunterbunter Mix. Letzteres sprichwörtlich, denn einer wechselt
schneller seine Haarfarbe als mache Leute ihre Socken. Ihre Wünsche und
Bedürfnisse wirken echt und nachvollziehbar, ebenso die Handlungen und
Reaktionen.
Das Buch hat eine melancholisch-ernsthafte Grundstimmung, die nicht nur auf
Krankheit, Verlust und Trauer fußt, sondern auch auf der eigentlichen
Aussichtslosigkeit der Beziehung zwischen Amber und Nathaniel. Doch gerade diese
Beziehung gibt Amber auch wieder Lebensmut und Freude zurück. Oder den Mut
etwas zu wagen. Lässt sie Wünsche entwickeln, die allerdings wiederum für
Probleme und die Sehnsucht nach mehr sorgen. Deshalb wagt sie In dieser ganz
besonderen Nacht einen Schritt, der unerwartete Konsequenzen nach sich zieht.
Besagte Konsequenzen wiederum sorgen für einen kleinen Zwiespalt bei mir. Zum
einen wirken einige Passagen letztendlich zu rosarot weich gespült. Das fiel
mir vielleicht deshalb besonders auf, weil Nathaniels Vergangenheit und die
Schuld, die er auf sich geladen hat, vollkommen gegensätzlich beschrieben
werden. Zum anderen wirken sie jedoch auch durchaus tröstlich, gerade im Bezug
auf die Verluste, die Vosselers Figuren durchleben müssen.
Fazit
In dieser ganz besonderen Nacht hat mich nicht durch nervenzerreißende Spannung
gefesselt, denn im Grunde kam die Geschichte mir trotz des traumatischen
Einstiegs für Amber und des dramatischen Teils kurz vor dem Ende völlig
unaufgeregt vor. Der Reiz kam für mich aus der emotionalen Grundnote und der
dichten Atmosphäre. Und wurde geschürt durch den Tiefgang, den dieser Roman
durchaus hat. Mit der Wendung ganz am Schluss hat mich die Autorin vollkommen
überrascht, da meine eigenen Gedanken bereits in eine ganz andere Richtung
gingen. Fantasievoll berührend.
Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)
Vorgeschlagen von Ati
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veröffentlicht am 02. März 2013 2013-03-02 17:47:04