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Konrad Hansen: Der wilde Sommer

Der wilde Sommer

von Konrad Hansen
Verlag: Piper Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Belletristik
ISBN-13 978-3-492-24714-6

Preis: 5,01 Euro bei Amazon.de [Stand: 22. Dezember 2024]
Hannibal Witt, genannt Hanno, wächst an der Kieler Förde auf und möchte einmal Afrika-Forscher werden. Hannos Freund Kulle, der Weitgereiste, der Englisch mit kanadischem Akzent spricht, will nach dem Krieg weg, am besten nach Kanada. Hanno hat sich leider schon auf Afrika festgelegt. In den letzten Kriegstagen des Jahres 1945 hofft in Deutschland niemand mehr auf eine Wunderwaffe gegen die Übermacht der Alliierten, sondern allein, dass der Krieg endlich vorbei sein möge. Noch in den letzten Wochen werden Jugendliche unter 18 und alte Männer zum Volkssturm eingezogen, um Fremdarbeiter beim Schaufeln unnötiger Gräben zu beaufsichtigen. Geregelten Schulunterricht hat es schon lange nicht mehr gegeben. Für Hanno und Kulle wird der Sommer 1945 eine Abfolge von Abenteuern und lebensgefährlichen Kinderstreichen sein. Ein Sommer, der so heiß ist, dass die Vögel tot in den Hof fallen. Die beiden Freunde treffen sich mit anderen in einem selbstgebauten Unterstand im Garten, die Jungen klauen sich die Einzelteile eines MG 34 zusammen und sammeln gemeinsam Bombensplitter.

Auf dem Hof der Familie Witt sollen Flüchtlinge einquartiert werden. Die Lehrerin Fräulein Bauer "leitet den Einsatz" der Wohnraumbeschaffung. Hannos Opa will keine Tungusen (Menschen aus Sibirien oder der Mongolei) in seinem Haus haben und ist entschlossen, die unerwünschten Gäste notfalls mit der Waffe in der Hand zu vertreiben. Dennoch werden auf dem Hof, den Hannos Mutter allein mit einem Fremdarbeiter bewirtschaftet, Flüchtlinge untergebracht. Für kurze Zeit quartiert sich auch noch die britische Armee im Dorf ein, so dass schließlich 160 Menschen auf dem Hof der Witts leben. Flüchtlinge überall, eine Familie pro Zimmer, auch in der Diele, auf dem Heuboden. Einige fürchten bereits, dass das Wasser aus dem Brunnen nicht für so viele Menschen reichen wird. Einheimische wie Fremde leben in völliger Ungewissheit, was am nächsten Tag sein wird. Lenchen, die Tochter der Familie Schimek, wird regelmäßig von ihrem Vater vor den Augen und Ohren aller missbraucht. Während des Nationalsozialismus hatte zwar jeder gelernt, was Rassenschande ist, aber für Lenchens Schicksal gab es keinen Ausdruck. Als Lenchens Vater Hannos Schwester Mechthild lüstern anstarrt, lockt Hanno den verhassten ungebetenen Gast ins Moor, um ihn dort ersticken zu lassen.

Der fantasievolle Hanno trifft in der Gartenlaube des Nachbargrundstücks einen unerwartet ernsthaften Gesprächspartner, der sich dort versteckt hält, während die Briten bereits den Ort nach dem Mann durchkämmen. Hanno schweigt eisern über diese Begegnung. Um seine große heimliche Liebe Anna sehen zu können, betreibt der Junge mit gestohlenen Lebensmitteln einen regen Schwarzhandel zur Finanzierung seiner Klavierstunden. Die Menschen sehen in dieser Zeit hohläugig, unterernährt aus, jeder sucht Arbeit, versucht den letzten Besitz gegen Lebensmittel einzutauschen. Hunde und Katzen können sich ihres Lebens nicht mehr sicher sein. Täglich kommen nun Städter mit der Bahn zum Hamstern ins Dorf. Wer nichts mehr zu verkaufen hat, bietet den eigenen Körper an, Zweckgemeinschaften bilden sich, in denen Wohnung und Nahrung gegen Sex und ein wenig Geborgenheit getauscht werden.

Hannos Vater Adolf hatte sich vor Jahren nach Schweden abgesetzt und man hat lange nichts von ihm gehört. Unvermittelt steht er eines Tages im Hof - Mutter und Kinder sind offenbar von der Rückkehr des charmanten Tunichtguts wenig begeistert. Adolf, der sich inzwischen Harry nennt, muss sich eine andere Unterkunft suchen. Der plötzlich aufgetauchte Vater drängt seinem fast erwachsenen Sohn seine väterliche Fürsorge und seine Ratschläge auf, doch in Wahrheit benötigt Harry die Unterstützung seines wendigen Sohnes, um als Alleinunterhalter im Dorf wieder Fuß zu fassen.
Fazit
Eine kurze Zeitspanne während der letzten Kriegstage im Sommer 1945 erzählt Konrad Hansen (*1933) aus der Sicht eines empfindsamen 16-Jährigen und bewahrt sie so für die Nachwelt. "This book may contain explicit language" würde in den USA auf dem Buchcover zu lesen sein - dieses Buch könnte Ihr Schamgefühl verletzen. Bei Hansen geht es drastisch zur Sache, seine Überlebenden und Gestrandeten haben offenbar hauptsächlich Sex im Kopf - und ein Menschenleben zählt nach sechs Kriegsjahren kaum noch etwas. Die Entfremdung zwischen Vater und Sohn, Hannos enttäuschte erste Liebe, sowie das heikle Verhältnis zwischen Einheimischen und Flüchtlingen in der schleswig-holsteinischen Provinz schildert der Autor mitreißend und phantasievoll.
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Vorgeschlagen von Helga Buss [Profil]
veröffentlicht am 28. August 2009

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