Im letzten Jahr habe ich zufällig bei den Büchereulen eine Fragerunde mit
Stefanie Burow gesehen/gelesen. Sie verbirgt sich hinter dem Pseudonym Tessa
White, das - wie man auf der eben genannten Seite nachlesen kann - aus einer von
der Autorin verfassten Namensliste seitens des Verlages gewählt wurde, damit
LeserInnen unbelastet an ein neues Projekt der Autorin herangehen konnten. Aus
Burows Feder stammt etwa auch Das Jadepferd. Ihre Romanideen werden aus eigenen
Reiseerfahrungen im asiatischen Raum inspiriert.
Doch zurück zum gerade vor mir liegenden Buch Die Insel der Orchideen, das im
November 2012 als Taschenbuch von Knaur herausgegeben wurde. Laut Klappentext
geht es darin um Folgendes:
>>Schiffe aus aller Herren Länder, ein Gewirr von Stimmen, faszinierende Farben
und berauschende Düfte - als die Schwestern Leah und Johanna 1856 in Singapur
eintreffen, ahnen sie in ihrer Begeisterung nicht, dass die schillernde
Löwenstadt ihr Schicksal bestimmen wird: Johanna nimmt den Antrag des jungen
Geschäftsmannes Friedrich von Trebow an und übersieht die tiefen Gefühle, die
ein anderer für sie hegt - ein folgenschwerer Fehler. Ihre wilde Schwester Leah
verliert ihr Herz an einen jungen Chinesen, eine Beziehung, die nicht sein darf.
Als man die Liebenden trennt, flieht Leah und begibt sich auf eine gefahrvolle
Reise auf der Suche nach Anerkennung, Glück und nach sich selbst.<<
Im Gegensatz zu dem zuvor erwähnten Roman Das Jadepferd entführt die Autorin
ihre LeserInnen nicht nur in eine exotisch angehauchte Welt, sondern auch in die
Vergangenheit. Das tut sie atmosphärisch dicht und sprachlich an diese Zeit
angepasst. Leah ist gerade 16, Johanna etwas älter. Sie begleiten ihre Eltern,
da ihr Vater als Missionar in Hongkong tätig werden soll. Das Buch beginnt,
nachdem die Reise dorthin bereits angetreten wurde. Bereits dabei wird klar,
dass Leah und Johanna sehr unterschiedlich sind. Johanna als die große
Schwester, von der viel erwartet wird, zeigt sich verantwortungsbewusst und
besonnen. Das macht sie in den Augen ihrer abenteuerlustigen und wenig auf
Konventionen bedachten Schwester langweilig, sagt aber zunächst wenig über
ihre Hoffnungen und Wünsche aus. Und die hat sie zweifelsohne.
Die aus verschiedenen Perspektiven erzählte Geschichte dehnt sich über einen
Zeitraum von etwa 30 Jahren. Und handelt genau genommen nicht nur vom Schicksal
der beiden Mädchen, die ihrer Zeit voraus wirken. Neben ihnen kommt eine ganze
Fülle anderer Charaktere zum Tragen. Wirklich blass ist niemand gezeichnet,
egal ob sie größere und kleinere Rollen einnehmen. Nicht alle sind
sympathisch, nicht all ihre Aktionen und Handlungen kann man gutheißen. Doch
obwohl das eine oder andere Klischee nicht ausbleibt, wirkt niemand absolut
trivial. Es gibt starke und schwache Persönlichkeiten, keiner ist perfekt.
Was mir sehr gut gefallen hat, war die Wahl des Handlungsortes. Denn während
ich schon etliche Auswanderer-Geschichten mit Schauplätzen in der Neuen Welt,
Australien oder Afrika gelesen habe, haben bisher wenige davon in asiatischen
Ländern gespielt. Die Exotik von Land und Leuten in Die Insel der Orchideen ist
wunderbar greifbar.
Das pastellfarben gestaltete Cover mit seinem blühenden Orchideenzweig und ein
paar Dschunken auf ruhigem Gewässer führte mich, auf den Inhalt bezogen,
allerdings völlig in die Irre. Nachdem ich ein unterhaltsam-leichtes Buch
erwartet habe, lief ich Gefahr, das Buch abzubrechen. Obwohl man als LeserIn
quasi gleich anfangs in das Geschehen gestoßen wird, konnte ich nicht so recht
darin eintauchen.
Das lag auch an dem hohen Erzähltempo, welches die Geschichte prägt. Die
Autorin verknüpft gleich mehrere Erzählstränge miteinander, die samt und
sonders mit einer geballten Ladung an dramatischen Ereignissen gespickt sind.
Dies auf fast drei Jahrzehnte verteilt auf 592 Seiten abzuhandeln geht nicht
ohne Zeitsprünge. Davon gibt es auch prompt einige im Buch, was für mich den
Lesefluss immer mal wieder ins Stocken gebracht hat.
Sehr zartfühlend geht die Autorin mit ihren Figuren nicht um. Von glücklichen
Momenten, wie man vielleicht anhand des Covers erwarten könnte, bekommt man als
Leser eigentlich nichts mit. Da der Fokus auf eine Familie gerichtet ist, fragt
man sich unwillkürlich, wie groß der Magnet sein muss, der all das Unglück
anzieht, das dieser widerfährt. Nach einem recht guten Start in ein neues
Leben, läuft schon sehr bald alles schief, was nur schief laufen kann.
Krankheit und Tod stehen erster Liebe, Liebschaften, Intrigen, Eifersucht,
Streit und einer Ehe gegenüber, die nicht zu den besten zählt.
Gewaltverbrechen in Form von Entführung, Vergewaltigung und Mord kommen
ebenfalls vor. Abenteuer auch, das erklärt sich schon aufgrund des Neuanfangs
in einer völlig anderen Welt, beschränkt sich jedoch nicht nur darauf.
Geldprobleme erschweren das Leben darüber hinaus. Mit der unberechenbaren Natur
kombiniert, sorgt das bei den Figuren für eine gefühlsmäßige vermutete
Achterbahnfahrt, die in einem brisanten Finale gipfelt. Vermutet deshalb, weil
man die Gefühle zwar permanent latent spüren, jedoch nicht so recht nachlesen
kann. Durch die Zeitsprünge bedingt erschien mir vieles zu
geballt-oberflächlich, ohne mich sonderlich tief zu berühren. Leider gelang es
mir die meiste Zeit nicht, die Distanz zu den Romanfiguren zu überbrücken.
Das klingt jetzt schlimmer als es ist. Denn tatsächlich hielt mich neben meiner
pathologischen Leselust nicht nur der atmosphärisch dichte, bildhaft gut
gelungene Hintergrund inklusive kultureller Besonderheiten bei der Stange. Ganz
unspektakulär fand ich mich doch irgendwann in der Geschichte wieder und
bemerkte enttäuscht, dass ich auf der letzten Seite angekommen war. Die spielt
letztlich übrigens nicht in Hongkong, sondern in Singapur, wo Johanna und ihre
Familie hängen bleiben.
Fazit
Das hohe Erzähltempo lässt keine wirkliche Langeweile aufkommen. Es mindert
jedoch den Lesegenuss, da vieles zu oberflächlich abgehandelt wird. Etwas
weniger Drama und/oder deutlich mehr Seiten hätten Whites Roman Die Insel der
Orchideen gut getan. Obwohl mich die Geschichte nicht konsequent gefesselt hat,
habe ich mich letztlich doch überraschend gut unterhalten gefühlt. Deshalb
möchte ich sechs von zehn Punkten dafür vergeben.
Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)
Vorgeschlagen von Ati
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veröffentlicht am 23. Februar 2013 2013-02-23 15:11:03