Die 16-jährige Mira ist die Ernährerin ihrer Familie. Sie schmuggelt Waren aus
der Stadt ins Warschauer Ghetto und verkauft sie dort weiter. Wer im Ghetto
überleben will, muss schnell und schlau sein. Schmuggel wird von den Besatzern
der Stadt mit dem Tod bestraft. Kopfgeldjäger, von den ins Ghetto gesperrten
Juden Hyänen genannt, sind außerhalb der Ghettomauern ständig auf der Jagd
nach Juden, die sie auf eigene Rechnung ausrauben und an die Nazis verraten.
Miras helle Augen lassen nicht vermuten, dass sie Jüdin sein könnte. Sauber
gekleidet spielt sie draußen auf dem Markt der polnischen Stadt die Rolle einer
respektablen polnischen Frau und nennt sich dann Dana. Für jemand, dem selbst
kaum etwas zum Leben geblieben ist, bedeutet dieser Auftritt allein schon ein
Kunststück. Miras älterer Bruder Simon arbeitet für die Judenpolizei, er
verrät andere Juden an die Nazis und rettet damit von einem Tag auf den
anderen sein eigenes Leben. Durch Daniel, mit dem Mira befreundet ist, wird sie
über die Ereignisse im Waisenhaus des Janusz Korczak informiert.
Die Menschen im Ghetto haben Angst an Typhus zu erkranken, Angst die
Aufmerksamkeit der deutschen Besatzer zu erregen und mit dem nächsten Transport
ins Vernichtungslager transportiert zu werden. Die Umklammerung der Besatzer
wird mit jedem Tag erstickender, schon bald ist Miras üblicher Weg auf die
andere Seite abgeschnitten. Sollte Mira auf ihren gewagten Besorgungsgängen
etwas passieren, müssen ihre Mutter und ihre Geschwister verhungern. Wer unter
diesen Bedingungen überleben will, muss anderen vertrauen können, aber
vorsichtig in der Wahl seiner Freunde sein. In dieser Situation wird Mira wegen
ihres unauffälligen Aussehens von einem Mitglied der Widerstandsbewegung als
Kurier angeworben. 28 Tage lang wird die Widerstandsbewegung von nun an
verzweifelt den Besatzern trotzen.
David Safier (*1966) erzählt der ihm nachfolgenden Generation Miras Geschichte,
in Erinnerung an seine Großeltern, die im Ghetto von Lodz und in Buchenwald
starben. Safier vermittelt aus der Sicht seiner jungen Hauptfigur die kaum
vorstellbare Tatsache, wie ab 1940 500 000 eingesperrte Menschen im Warschauer
Ghetto überleben konnten und wie unter den geschilderten Lebensbedingungen
Widerstand überhaupt organisiert werden konnte. Das Ghetto ist hoffnungslos
überbevölkert, die Versorgung der hinter eine Mauer gefangenen Bewohner
funktioniert längst nicht mehr. Safiers (fiktive) jugendliche Figuren mussten
früh erwachsen werden. Für Kinder ihrer Zeit denken, handeln und sprechen sie
zum Teil zu modern. Diese Eigenschaft könnte man einem Alltag zuschreiben, in
dem sich täglich die Frage stellt, welche moralischen Grenzen man zu
überschreiten bereit ist, um dem Gegner ein paar Tage des Überlebens
abzutrotzen und die eigene Haut zu retten. Mit seinen sehr glaubwürdigen
Figuren schafft Safier für jugendliche Leser ideale
Identifikationsmöglichkeiten. Wie geht man mit den Schuldgefühlen um, wenn man
selbst lebt und andere nicht überlebt haben? Was für einen Menschen macht es
aus einem, wenn man morgen schon tot sein könnte? Wollen Safiers Figuren
überhaupt die Helden sein, zu dem die Kameraden im Widerstand sie erklären,
wenn sie sich gegenseitig Mut zuspechen?
Fazit
Safiers Roman über die letzten Tage des Warschauer Ghettos empfehle ich als
spannende Abenteuergeschichte vor authentisch beschriebenem historischem
Hintergrund wegen seiner glaubwürdig gezeichneten Figuren besonders
Jugendlichen.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 16. März 2014 2014-03-16 09:07:04