Mit gerade 20 Jahren und während ihres Studiums in kreativem Schreiben
verfasste die Autorin ihren 2011 erschienenen Debütroman Divergent. Dieser
befand sich zum einen mehrere Wochen auf der Bestsellerliste der New York Times
und die Filmrechte sind bereits verkauft. Zum anderen wurde eine deutsche
Übersetzung von cbt 2012 unter dem Titel Die Bestimmung veröffentlicht. Roths
Debüt stellt den Auftakt einer Trilogie dar, deren zweiter Teil Insurgent in
deutscher Übersetzung unter dem Titel Die Bestimmung - Tödliche Wahrheit
ebenfalls von cbt noch im gleichen Jahr herausgegeben wurde. Der dritte Teil
soll Ende 2013 folgen.
Es empfiehlt sich, den ersten Band der dystopischen Trilogie zu lesen, bevor man
sich an den Zweiten macht, denn die Bände sind nicht in sich abgeschlossen.
Die Geschichte wird von der Hauptfigur im Präsens erzählt. Diese heißt Tris,
ist 16 und steht in Roths Debütroman vor einer schwierigen Entscheidung. Wie
alle in ihrem Alter muss sie über ihre Zukunft entscheiden. In ihrer Welt gibt
es insgesamt fünf Fraktionen, eine davon muss sie als ihre künftige Familie
wählen. Da gibt es die Selbstlosen (Altruan), die Freimütigen (Candor), die
Wissenden (Ken), die Friedfertigen (Amite) und die furchtlosen (Ferox). Wer die
Wahl hat, hat die Qual, zumindest, wenn wie in Tris‘ Fall der Bestimmungstest,
der bei der Entscheidung helfen soll, kein eindeutiges Ergebnis erbringt. Tris
trägt mehrere gegensätzliche Begabungen in sich, gehört zu den Unbestimmten
und gilt dadurch als Gefahr für die Gemeinschaft. Bisher hat sie bei den
Altruan gelebt, jetzt schließt sie sich den Ferox an. Eine fatale Entscheidung,
denn dabei gerät sie in einen Konflikt, der neben ihrem eigenen Leben auch das
all derer bedroht, die ihr etwas bedeuten. Unabhängig von allem geht es auch um
die Beziehung zwischen Tris und dem jungen Tobias. Das ist der Inhalt des
Auftaktromans der Trilogie von Veronica Roth.
Die Bestimmung - Tödliche Wahrheit schließt unmittelbar an den ersten Teil an.
Der endet mit einem Angriff der Wissenden, die mit ferngesteuerten Furchtlosen
versuchten, die Altruan zu vernichten. Dabei kommen ihre Eltern ums Leben,
weshalb Tris sich nicht wirklich darüber freuen kann, dass sie es gemeinsam mit
ihrem Bruder, ihrem Freund und wenigen weiteren Überlebenden zu den
Friedfertigen geschafft hat. Die Erleichterung darüber wird auch getrübt, weil
sie während des vorangegangenen Angriffs einen Freund erschießen musste, der
unter dem Einfluss der Ken stand. Hinzu kommt, dass sie nicht lange bei den
Amite bleiben können. Zu dicht sind ihnen ihre Verfolger bereits auf den Fersen
und zwischen den Fraktionen herrscht Krieg. Die bisher funktionierende
Gesellschaft zerbricht Stück für Stück.
Wer schnelle Entwicklungen der Handlung erwartet, sollte die Hände davon
lassen. Eine dichte Atmosphäre geht oft zulasten des Tempos. Auch wenn man der
Autorin keine wortmalerische Detailverliebtheit unterstellen kann, ist ihr eine
solche Atmosphäre aber gelungen. Bezüglich der Charaktere ist positiv zu
erwähnen, dass verschiedene Figuren in beiden bis jetzt erschienenen Bänden
aufgetaucht sind. Über ihre Sympathie lässt sich streiten. Allerdings muss man
Romanfiguren ja nicht zwingend mögen, um sie interessant zu finden. Roths
Figuren haben Fehler und Macken. Niemand ist perfekt, mancher suspekt und mehr
als einer egoistisch. LeserInnen können sich über sie und mit ihnen ärgern,
zeitweise mit ihnen mitfiebern, -hoffen oder auch -leiden.
Der Dystopie geschuldet offenbart sich Tris innerlich zerrissen. Schuldgefühle,
Rachegedanken, Zorn und Zukunftsängste beherrschen sie. Dabei passen
Erinnerungen teilweise nicht zu dem, was sie jetzt erlebt. Sicherheit scheint es
nicht mehr zu geben. Gut und Böse offenbaren sich als willkürliche Definition.
Misstrauen macht sich breit, vertrauen fällt schwer. Gleichzeitig möchte Tris
aber auch ihre Schuld begleichen, indem sie die Unbestimmten rettet. Dafür ist
sie sogar bereit, sich selbst zu opfern und sich von Tobias zu trennen, nachdem
sie sich gerade ihre Liebe gestanden haben. Dafür ist sie sogar willens, sich
zum Schein mit dem Feind zu verbünden.
Negativ fiel mir auf, dass Tris im zweiten Buch zusehends an Sympathiepunkten
verlor. Ihre Handlungen sind nicht immer nachvollziehbar, oft wirken sie
übereilt. Obwohl sie die Gefahr fürchtet, sucht sie sie geradezu. Viel zu oft
zeigt sie sich zickig-egoistisch und voller Todessehnsucht. Tobias spürt, dass
ihm Tris entgleitet. Die beiden streiten sich in einem fort oder verschweigen
sich etwas, dennoch verzeiht er ihr unzählige Male. Beide wirken manchmal
kaltblütig-kalkulierend, dann wieder so voll blindem Aktionismus, dass es fast
weh tut. Die ausführliche Beschreibung von innerer Zerrissenheit und
Schuldgefühlen sorgt neben Tris‘s polarisierenden und ihrem stellenweisen
erschreckenden, naiv-dummen Verhalten zudem über weite Strecken des zweiten
Bands für Längen, obwohl sie grundsätzlich gut in die Geschichte passt.
Darüber tröstet der flüssig-lockere Schreibstil nur bedingt hinweg.
Einen wirklich dicken Minuspunkt gibt es jedoch für die Brutalität, wird doch
viel zu häufig um sich geschlagen und/oder aus allen Rohren geschossen. Die
Eliminierung Andersdenkender ist ein blutiger Haupthandlungsbestandteil. Gewalt
gab es auch schon im ersten Band. Doch fiel sie mir in Die Bestimmung -
Tödliche Wahrheit vermehrt auf, weil die Figuren darin zeitgleich emotional
distanziert dargestellt werden. Die Art und Weise, wie sie
gefühllos-kaltblütig über das Geschehen hinweggehen, kann man am ehesten als
abgestumpft bezeichnen. Letzteres ist zwar durchaus aufgrund des Geschehens
nachvollziehbar. Doch abgesehen davon, dass diese Abstumpfung zeitgleich manch
überzogen wirkendem, irrationalen Ausbruch gegenübersteht, übertrug sie sich
auch auf mich als Leserin. Gewalt, Trauer und Verlust können Menschen
verändern. Die Veränderung bei Tris ging mir persönlich zu weit.
Kampfszenen können dramatisch und temporeich sein und davon gibt es einige im
Buch. Allerdings wirken sie im zweiten Band genau wie das Hin und Her zwischen
Tris und Tobias eher negativ auf den Spannungsbogen. Es gibt Endzeitgeschichten,
die weniger Gewalt beinhalten und dennoch packender sind. Roths Geschichte ist
nicht wirklich langweilig, doch fehlt etwas. Die Bestimmung - Tödliche Wahrheit
wirkt, wie viele zweite Bände einer Trilogie, manchmal wie bloßes
Füllmaterial, da sich die Handlung nicht signifikant weiterentwickelt. Erst
gegen Ende nimmt das Erzähltempo wieder an Fahrt auf und es tut sich etwas.
Fazit
Wie schon im ersten Band ist das Ende des Buches nicht das Ende der Geschichte.
Geheimnisse und Rätsel wurden gelüftet, doch bleiben Fragen offen und bieten
Platz für Spekulationen, verwirren teilweise aber auch. Bleibt zu hoffen, dass
Roth mit dem dritten Band der Trilogie wieder an den besser gelungenen ersten
Band heranreicht. Die Bestimmung - Tödliche Wahrheit hat meine Erwartungen
nicht erfüllt, weshalb ich nur vier von zehn Punkten dafür vergeben
möchte.
Obwohl ich den inhaltlichen Grundgedanken durchaus spannend finde, kann ich
diesen für mich nicht fesselnd mit den jugendlichen Charakteren in Einklang
bringen. Grundsätzlich halte ich die Altersfreigabe für verfehlt. Warum?
Dystopien sind zwar nicht für eine fröhliche Grundidee bekannt, doch muss
Krieg, Brutalität und Tod in dieser Form und einem solchen Ausmaß bei der
anvisierten Zielgruppe wirklich sein? Nach der Lektüre der ersten beiden Bände
ebenso wie nach einem Blick auf die begeistert-positiven Reaktionen frage ich
mich unwillkürlich, wie verroht unsere Gesellschaft sein muss, wenn eine
derartig gestaltete Ideenumsetzung in Jugendbüchern eine solche Begeisterung
auslöst. Aus dem Grund werde ich die Trilogie niemandem aus meinem Bekannten
und Verwandtenkreis als Jugendbuch empfehlen.
Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)
Vorgeschlagen von Ati
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veröffentlicht am 20. Februar 2013 2013-02-20 11:08:20