Zum einen nutzt Alexa Hennig von Lange in ihrem inzwischen vierten Roman
"Woher ich komme", betont plastische Sätze ("Meine Mutter sitzt
vor dem Kuhstall, beißt auf der Hornhaut ihres Daumens herum." -
"Nach dem Essen mäht Papa unseren Rasen. Kräftig muss er sich gegen die
hellgrüne Nähmaschine stemmen, damit sich die verrostete Trommel mit den
scharfen Klingen über den unebenen Boden bewegt."-"Wenn sie im Bett
lagen, mein Bruder schlief, ging ich raus auf die Veranda, riss mir manchmal
einen Splitter ein, das Holz war roh, der Himmel über dem Meer sehr
hell.".). Zum anderen hält von Lange die Stimmung und das Ziel des Romans
vage; das erreicht sie über ein Splitting des Geschehens in vier Ebenen. Diese
"Verebnung" (Zeit- und Raumsprünge) entpuppt sich allerdings als
Kunstgriff. Langes Roman fehlt die Substanz, um auf vier Sphären wirken zu
können. In "Woher ich komme" versucht die 30jährige Ich-Erzählerin,
sich über ihre Vergangenheit klar zu werden; Vergangenheit, das war und ist in
ihrem Fall Familie, und da die Mutter ("Es gibt kein festes Bild von meiner
Mutter, das immer wieder aus der Erinnerung auftaucht. Es sind eher
Körperpartien, die ich sehr genau vor Augen habe.") und der um Jahre
jüngere Bruder ("Ich war süchtig danach, ihn anzufassen. ‚Komm her’.
Seine weiche, duftende Haut. Mein Bruder. Ich hätte ihn immer umarmen, immer
fassen, fangen mögen, um ihn am mich zu drücken. Genauso ging es meiner
Mutter.") bei einem Unglück im Watt ("…und plötzlich füllten sich
die Priele…Mein Vater kam allein zurück.") ums Leben kamen, bleibt ihr
nur ihr Vater; der allerdings "sieht müde aus…der Ehering scheint viel
zu eng", er wirkt abgelebt, ratlos, im Stillstand, verstummt, weit weg, ein
erster Dialog über die Geschehnisse vor einem viertel Jahrhundert will nicht
aufkommen. Die gemeinsame Fahrt im Auto samt Ankunft im Ferienhaus ist geprägt
von gegenseitiger Hilflosigkeit; die Tochter, d. h. die Ich-Erzählerin, fühlt
sehr viele Fragen in sich, sogleich merkt sie, ihr Vater ist nicht mehr der
Vater von damals; Ungewissheiten bestehen weiter. Dieses
mit-ihren-Fragen-alleine-bleiben bei parallelem Erinnerungsstrom bildet eines
der nostalgischen Momente im Roman. Andere Momente folgen folgenden Themen:
Schlachten von Schafen, die erste Schulstunde, Autogenes Training, Tschernobyl,
Pädophilie.
Fazit
Ich war etwas verwirrt bei der Lektüre, denn in "Woher ich komme"
treffen schlichtes Thema und schwer nachvollziehbare Aufmachung aufeinander.
Unglücklich machte mich auch das verzweifelte Fährten-Legen von Langes, z. B.
" sie hatte viele Sommersprossen, im Gesicht und auf den Armen". Von
Langes Roman ist in autobiografischen Ton gefasst, ja; mit seiner Autorin hat er
nichts zu tun, nein. Zwar bietet die Lektüre Unterhaltsames, aber nichts
Nachhaltiges; nach dem Buch ist vor dem Buch.
Vorgeschlagen von Paul Niemeyer
[Profil]
veröffentlicht am 26. November 2003 2003-11-26 20:53:58