Lesen ist für mich ein Aufsaugen von Geschichten, die schon geschrieben wurden.
Der Satz stammt nicht von mir, sondern von der 1989 geborenen Patricia Radda,
man kann ihn auf lovelybooks.de in dem mit ihr geführten Interview nachlesen.
Allerdings hat Radda formuliert, was ich tagtäglich mache. Das können reale
Geschichten sein oder erfundene, real gehaltene oder zusammenfantasierte. Einen
seitenstarken Roman hat die Autorin noch nicht publiziert. 2001 wurden jedoch
drei Gedichtbände von Radda in der Firma ihrer Eltern veröffentlicht. Ihre
Kurzgeschichten kann man sich bei bookrix herunterladen, den Gedichtband Tod und
die Erzählung Anna und Alek gibt es als Kindleversion zu kaufen und die vor mir
liegende Erzählung Überbrücken liegt sowohl als Kindleversion als auch als
gedrucktes Buch vom Renate Götz Verlag vor. Letzteres habe ich gerade
ausgelesen. Dabei wurde mir schnell klar, dass ich künftig nach weiteren Werken
der Autorin Ausschau halten werde.
Zugegebenermaßen, ganz neu ist ihre auf 84 Seiten ausgearbeitete Grundidee
nicht. Doch welche Idee ist das heute schließlich schon. Radda, die bereits
sehr früh (sie war gerade mal 7 oder 8 Jahre alt) mit Schreiben begann, saugt
wie gesagt Geschichten in sich auf, die bereits geschrieben wurden. Das
inspiriert sie zu neuen Geschichten für jugendliche und erwachsene LeserInnen.
Gleich 18 Autoren fließen inspirativ in Überbrücken ein. Von Aristoteles bis
J. R. Ward. Was auf den ersten Blick zugegebenermaßen wie eine wild anmutende
Zusammenstellung wirkt, wird von Radda geschickt miteinander verknüpft. In
ihrer Erzählung wird die 18jährige Sofia durch einen Unfall aus dem Leben
gerissen. Raddas Hauptfigur liest genau wie ihre Schöpferin sehr gerne und sehr
viel, verfasst ihre Gedanken dazu in einem grünen Buch. Viel erlebt hat sie
deshalb noch nicht. Wenn man von einem Zungenkuss absieht, ist so einiges an ihr
vorbeigegangen. Ihr Tod reißt die Familie auseinander. Der Bruder geht nach
England und meldet sich nicht mehr. Ihre Eltern sind mit ihrem eigenen Schmerz
beschäftigt, driften auf eine Trennung zu. Sofia kann dies alles miterleben,
denn obwohl sie tot ist, ist sie nicht wirklich verschwunden.
Verblüffenderweise kann ihre kleine Schwester Clara sie sehen und sogar mit ihr
in Kontakt treten. Sogar als das Elternhaus verkauft wird, kommt Clara täglich
zurück, denn obwohl Sofia nicht wirklich verschwunden ist, kann sie nicht
überall hin. Der neue Besitzer des Hauses lässt Clara gewähren, obwohl ihm
bald schon klar wird, dass Claras Schwester tatsächlich etwas sehen muss. Er
will ihr sogar glauben, dass Sofia noch da ist.
Obwohl Radda nach eigenem Bekunden eine krankhafte Angst vor Vampiren hat,
lassen speziell Andre und Sofia lassen Erinnerungen an Vishous und Jane
aufkommen (J. R. Ward-LeserInnen werden sich erinnern). Das schmälert das
Lesevergnügen aber nicht. Denn tatsächlich ist die einfühlsam erzählte
Geschichte von Clara und Sofia der Hauptbestandteil der gesamten Erzählung. Das
Hauptaugenmerk ist auf die enge Verbindung der beiden Schwestern gerichtet. Eine
Verbindung, die über den Tod hinausgeht und Clara hilft, mit dem Verlust und
den familiären Folgen fertig zu werden. Alles andere, die sich zart anbahnende
Liebesgeschichte, die durch die Verbindung der Schwestern mögliche Tröstung
der Eltern oder auch die Klärung des Unfallgeschehens ist pures Beiwerk. Die
Zitate aus den Werken anderer Autoren sind dabei schlüssig mit Raddas eigenen
Gedanken in die aus der Erzählung entstehenden Situationen verknüpft.
Durch den flüssig zu lesenden, genauso einfach gehaltenen wie frischen und
eloquenten Erzählstil der Autorin fliegt man durch die 84 Seiten. Radda
schreibt lebendig-anschaulich und plastisch. Obwohl sie sich dabei die nähere
Beschreibung der einzelnen Charaktere spart, wirken diese nahezu durchweg
sympathisch. Die Tragödie von Sofias Tod enthält eine hoffnungsfrohe Note der
Leichtigkeit des Seins. All das zieht einen in und durch die Geschichte.
Einziger Kritikpunkt, der jedoch der Erzählung geschuldet ist, ist, dass alle
Handlungsfäden um Clara und Sofia herum zu kurz abgehandelt sind.
Fazit
Die Handlung schreit förmlich nach einer ausführlicheren Ausarbeitung, sprich
nach der Verarbeitung in einem Roman. Raddas Überbrücken ist dennoch eine
wunderbare, märchenhafte Erzählung, die zum Nachdenken anregt. Eine Geschichte
für Jung und Alt. Ich werde das Buch sicherlich nochmals zur Hand nehmen und
meinen Bekannten weiterempfehlen.
2013 Antje Jürgens (AJ)
Vorgeschlagen von Ati
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veröffentlicht am 14. Februar 2013 2013-02-14 14:47:09