"Mein Boot, mein Haus, mein Holzstoß" - der junge Kanadier Sylvanus
Now kann jeden Abend sehen, was er mit eigenen Händen geschafft hat. Wie seine
Vorfahren arbeitet er in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts als
selbständiger Küstenfischer in der kanadischen Provinz Neufundland und will
daran so bald nichts ändern. Sylvanus kann nicht genau erklären, was ihm an
der elenden Plackerei gefällt. Er findet, dass man sich beim Fischen reich
fühlen kann, selbst wenn man wenig damit verdient. Sylvanus hat sein Handwerk
bei seinem älteren Bruder gelernt; sein Vater und ein weiterer Bruder sind bei
der Arbeit tödlich verunglückt. In den 50er Jahren kündigt sich in Kanada
eine völlige Umstrukturierung der Fischerei an - große Lebensmittelkonzerne
wollen den Fang komplett aufkaufen und die Fische auf Fabrikschiffen sofort zu
Fischstäbchen verarbeiten. Noch mag Sylvanus nicht glauben, dass der
Käufergeschmack sich ändern kann und eines Tages kein gesalzener Trockenfisch
mehr gegessen werden könnte. Er setzt auf selbständiges Arbeiten mit einem
eigenen Boot, achtet die Tradition und legt Wert auf hohe Qualität seiner
Ware.
Die 14-jährige Adelaide hasst ihre sechs kleinen Geschwister, sie hasst Wasser,
sie hasst Fisch und sie hasst ihr kleines Heimatdorf Ragged Rock. Ohne Geld und
ohne Bildung konnte ein Mädchen zu Adelaides Zeit nur dann aus dem Dorf
herauskommen, wenn es einen Mann aus einem anderen Ort heiratete. Adelaide will
unbedingt einen Schulabschluss erreichen; denn sie will fort aus dem Dorf. Doch
Adelaides Mutter findet, dass eine 14-Jährige nicht mehr zur Schule zu gehen
braucht und hat ihre älteste Tochter aus der Schule abgemeldet. Addy soll - wie
alle Frauen - auf der Stelling arbeiten, der Plattform auf der der Fisch
ausgelegt, gesalzen und dann unter freiem Himmel getrocknet wird. Die Frauen
des Dorfes hoffen, dass sich ihre Arbeitsbedingungen verbessern werden, wenn sie
in Zukunft statt auf der Stelling in einer Fischfabrik arbeiten.
Als Sylvanus sich in Addy verliebt, wird diese Liebe auf eine harte Probe
gestellt; denn sein Heimatdorf Cooney Arm ist noch kleiner als Addies Dorf -
hier leben nur 10 Familien! Die Beziehung zu Sylvanus scheint das Ende von
Adelaides Träumen zu bedeuten.
Vor dem historischen Hintergrund des Strukturwandels der 50er Jahre, als
Automation und die darauf folgende Überfischung die Lebensgrundlagen der
Küstenfischer gefährdeten, knüpft Donna Morrissey eine bewegende
Liebesgeschichte zwischen zwei hartnäckigen Dickköpfen. Sylvanus kämpft mit
seinem kleinen Boot allein gegen alle (die Fangflotten, die Fabrikschiffe, die
kanadische Regierung); zu Hause in Cooney Arm wehrt er sich ebenso dickköpfig
dagegen, seine Sorgen mit seiner klugen Frau zu diskutieren und sich mit ihr
gemeinsam der Zukunft zu stellen.
Fazit
Wer Wasser, Sturm und Boote - im Gegensatz zu Adelaide - nicht hasst, wird sich
gern von Donna Morrisseys Buch in einen entlegenen Winkel Kanadas entführen
lassen. Morrisseys Schilderungen des Alltagslebens in Neufundland beruhen auf
historischen Vorbildern; ihre Figuren werden die Leser nicht so schnell wieder
vergessen.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 07. Juli 2007 2007-07-07 20:18:05