Was haben Lilach Mer und ich gemeinsam? Nichts, wenn man von dem Umstand
absieht, dass wir beide 2009 an dem Heyne-Fantasy-Schreib-Wettbewerb für den
Magischen Bestseller teilgenommen haben. Während ich mit meinem Beitrag
allerdings bereits in der Vorrunde ausschied, wurde 2011 Lilach Mers Debütroman
Der siebte Schwan von Heyne verlegt.
Den Debütroman der 1974 geborenen promovierten Juristin und Autorin, die in
Berlin und meiner Wahlheimat Schleswig-Holstein aufgewachsen ist, habe ich nicht
gelesen. Wohl aber ihren zweiten Roman und der hat - gleich vorab - eindeutig
Lust auf mehr Mer in mir geweckt. In Winterkind geht es um Blanka von Rapp, die
um 1880 in Niedersachsen lebt. Die junge Adlige ist mit dem Besitzer einer
Glasfabrik verheiratet und Mutter eines kleinen Mädchens. Der siebte Schwan
soll märchenhafte Zügen tragen und auch bezüglich Winterkind las ich im
Vorfeld, dass es sich dabei um die Fortsetzung von Schneewittchen handeln soll.
Obwohl sich in der Geschichte eine böse Mutter (anstelle der Stiefmutter), im
Zusammenhang mit dieser ein ominöser Spiegel, und sogar ein Apfel wiederfindet,
ist Winterkind jedoch weit mehr als eine schnöde Fortführung besagten
Märchens. Mer beschränkt sich nicht darauf, das schillernd-schöne Eheglück
der jungen Frau an der Seite ihres Märchenprinzen, schützend umringt von den
sieben Zwergen zu beschreiben. Tatsächlich ist Blanka ganz und gar
unglücklich, wird von Ängsten geplagt, traut sich keinen Schritt vor die Tür.
Beschützende Zwerge gibt es nicht und der vermeintliche Prinz hat durchaus
Fehler. Sogar zur Beerdigung ihrer Mutter müssen Mann und Tochter alleine
fahren. Nach deren Rückkehr spitzt sich die Lage zu. Während ein dichtes
Schneetreiben das Herrenhaus von der Außenwelt abschneidet, muss sich Blanka
den Schatten der Vergangenheit stellen. Diese bedrohen neben den
gesellschaftlichen Umbrüchen gegen Ende des 19. Jahrhunderts sukzessive
zunehmend nicht nur Blankas Zukunft.
Abwechselnd aus Sicht der jungen Mutter und der des Kindermädchens Sophie
nehmen Mers LeserInnen am Geschehen teil. Während Sophie eine bodenständige
junge Frau ist, offenbart sich Blanka als sensibles, nahezu gebrochenes Wesen.
Um dies zu überspielen, versucht sie krampfhaft Haltung zu bewahren, wirkt
dabei stellenweise eiskalt. Ihren Charakter empfand ich sehr zwiespältig. Was
auf der einen Seite Mitleid erweckte, stieß auf der anderen Seite ab. Immer
mehr stellte sich heraus, dass Blankas Vergangenheit zu schrecklich ist, als
dass sie sich daran erinnern will. Dass man dennoch erfährt, wie die junge Frau
so geworden ist, liegt an den Kapitelenden, in denen Mers ihre LeserInnen einen
anfangs kurzen und zunehmend längeren, teils verstörenden Blick auf Blankas
Vergangenheit bzw. das Leben ihrer Mutter werfen lässt.
Obwohl das das Erzähltempo bei allem, was tatsächlich geschieht, eher langsam
ist, entstehen keine Längen. Flüssig und zugegebenermaßen etwas
detailverliebt reiht Mer ein Wort ans andere. Letzteres dient jedoch der
bedrohlich-dichten Atmosphäre, die den Roman neben den authentisch wirkenden
Charakteren trägt.
Die Autorin beschränkt sich nicht nur darauf, das (vermeintlich) gute und
sichere Leben der besseren Gesellschaft zu beschreiben. Neben den sicherlich
eindeutig damit verbundenen Vorteilen erfährt man auch von den damit
einhergehenden Schattenseiten, von den gesellschaftlichen Konventionen ebenso
wie von den Umbrüchen jener Zeit. Auch die ungleiche Chancenverteilung und der
daraus resultierende Arbeiteralltag, die Bevormundung der kleinen Leute, die den
Launen und dem Gutdünken ihrer Arbeitgeber ausgesetzt waren, wird anschaulich
beschrieben. Von den Unbillen der Natur, denen alle ausgesetzt waren, ganz zu
schweigen.
Durch ihre Detailtreue macht die Autorin es ihren LeserInnen leicht, in die
damalige Zeit und die düster angehauchte, auf wenige Tage komprimierte Handlung
mitten im Winter einzutauchen. Das mystisch-märchenhafte Element, welches der
Spiegel in die Geschichte hineinbringt, schimmert immer wieder auf und hat mich
lange Zeit auf eine völlig falsche Idee bezüglich des Romanendes gebracht.
Dieses gestaltet sich überraschend leicht und logisch, ohne dabei
unwirklich-falsch zu wirken.
Fazit
Fazit:
Die Autorin lässt die Grenzen zwischen Fantasie und Wirklichkeit gekonnt
verschwimmen. Winterkind - ein historisches Märchen? - hat mir (wie bereits
erwähnt) Lust auf mehr Mer gemacht und war viel zu schnell ausgelesen. Einen
klitzekleinen Punkteabzug gibt es genau hierfür. Obwohl mich der Roman von der
ersten bis zur letzten Seite gefangen hielt, wirkt er insgesamt betrachtet
unfertig. Fortsetzung ungewiss. Deshalb möchte ich acht von zehn Punkten dafür
vergeben.
Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)
Vorgeschlagen von Ati
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veröffentlicht am 11. Februar 2013 2013-02-11 17:56:20