Dass ich beide Bände in eine Buchbesprechung hereinnehme, liegt darin
begründet, dass sie meiner Ansicht nach zusammen besprochen werden müssen
(warum folgt weiter hinten). Eventuell verrate ich dadurch allerdings zu viel.
Deshalb sollten diejenigen, die vollkommen unbelastet an die gesamte Geschichte
herangehen wollen, NICHT WEITERLESEN.
Worte... Worte können vieles. Sie können uns beispielsweise verwirren oder zum
Lachen bringen, zum Nachdenken anregen, etwas infrage stellen. Sie können auch
Aufmerksamkeit erregen, uns verletzen oder verändern.
Mit ihren Worten erregte Carina Bartsch eindeutig Aufmerksamkeit. Nach
zahlreichen Absagen brachte sie 2011 ihr Romandebüt Kirschroter Sommer als
Kindle im Schandtaten-Verlag selbst heraus. Dass es sich gelohnt hat, zeigen die
Verkaufszahlen. Kirschroter Sommer erreichte Platz 1 der Kindle-Bestsellerliste
für Liebesromane, stand zeitweise in den Top20 der Kindle-Jahresbestseller 2012
und platzierte sich auch vor den Kindle-Bänden 2 und 3 der stark beworbenen
Fifty-Shades-of-Grey-Reihe. Dieser Erfolg rief die Agentur Erzählperspektive
auf den Plan, die Bartschs Debüt auf der Buchmesse 2012 präsentierte.
Daraufhin meldeten sich mehrere Verlage und Rowohlt brachte nicht lange danach
zum ersten Mal in seiner Verlagsgeschichte das Werk eines e-book-self-publishers
in gedruckter Form auf den Markt. Auch der Folgeband Türkisgrüner Winter wird
dort verlegt. Beide Bände in einer ersten Auflage von 30.000 Stück. Der Traum
eines Autors.
Weniger traumhaft ist das, was Emely widerfährt. Worte haben sie verletzt und
verändert. Das alles liegt zu Beginn von Kirschroter Sommer bereits sieben
Jahre zurück. Auswirkungen auf das Leben der 22jährigen Studentin haben die
Worte des nur wenig älteren Elyas, ihrer ersten und bisher einzigen Liebe,
jedoch nach wie vor. Selbstbewusstsein ist das, was andere haben. Beziehungen
auch. Dennoch hat sie ihn nie vergessen. Als sie sich nach dem Umzug ihrer
besten Freundin/Elyas Schwester wiedersehen, flammen alle negativen Gefühle
wieder in ihr auf. Elyas scheint nicht zu bemerken, dass er ihr auf die Nerven
fällt, und drängt geradezu penetrant in ihr Leben. Obwohl er anscheinend jede
Frau haben kann, erweckt er bei Emely den Eindruck sie unbedingt als weitere
Kerbe in seinem Bettpfosten verewigen zu wollen. Während sie versucht, sich
Elyas vom Leib zu halten, lernt sie zeitgleich den sanften und scheinbar
schüchternen Lucca im Internet kennen. Bald darauf hat sie ein Problem. Lucca
scheint ein Traummann zu sein, dem sie alles anvertrauen kann. Fatalerweise
zeigt jedoch auch Elyas steter-Tropfen-höhlt-den-Stein-Methode und seine
Hilfsbereitschaft (etwa nach einem schweren Unfall ihrer Eltern) bei ihr Wirkung
und sie verliebt sich erneut in ihn.
Türkisgrüner Winter setzt die begonnene Geschichte unmittelbar fort. Das
Wechselbad der Gefühle vertieft sich für Emely, weil sich Lucca und Elyas fast
zeitgleich zurückzuziehen beginnen. Da sie Lucca noch nie persönlich getroffen
hat, beschließt Emely sich während einer Hallowen-Party wenigstens an Elyas‘
Fersen zu heften und ihn zur Rede zu stellen. Die beiden verbringen sogar die
Nacht miteinander. Allerdings nur, weil Emely sturzbetrunken ist und Elyas sie
nicht einfach ihrem Schicksal überlassen möchte. In der Folgezeit kommen sie
und Elyas sich trotzdem wieder näher. Doch gerade, als sie auf Wolke sieben
schwebt, erfährt sie etwas, was sie abrupt auf den Boden der Tatsachen
zurückbefördert. Ihre Befürchtung erneut von Elyas verletzt zu werden,
scheint sich zu bewahrheiten. Das Gefühl abermals von ihm verraten worden zu
sein, lässt sie zu ihren zwischenzeitlich wieder genesenen Eltern flüchten und
damit vor der Gefahr weglaufen, Elyas versehentlich zu begegnen. Ihren Gefühlen
kann sie jedoch nicht ausweichen. Als sie Elyas anlässlich der
Weihnachtsfeiertage überraschend wiedersieht, kommt es erneut zum Streit und
alles scheint verloren.
Gleich vorab, damit keine Missverständnisse aufkommen: Bereits das erste Buch
hat mich nicht vom Hocker gerissen, aber auch nicht völlig gelangweilt. Dass
ich beide Bücher gelesen habe, liegt zum einen in meiner Neugier (was kann
Bartsch, was andere nicht können/womit hat sie es geschafft) begründet. Zum
anderen aber auch daran, dass die Autorin (trotz diverser Schwachstellen und
obwohl ich alterstechnisch eindeutig über dem Zielpublikum liege) die Frage
nach dem Ausgang der Geschichte in mir wachgehalten hat. Wie und womit, weiß
ich offen gestanden bis heute nicht. Doch es lag weder darin begründet, dass
ich unvollendete Geschichten einfach nicht mag, noch darin eine Leseempfehlung
(oder Argumente dagegen) für meine Nichten und die Töchter von Bekannten und
Freunden finden zu wollen. Tatsächlich kann man mit Kirschroter Sommer und
Türkisgrüner Winter einfach abschalten (es macht nichts aus, wenn man
versehentlich ein Kapitel überspringt). Die Beschreibung der Figuren
polarisiert, was durchaus nicht jedem Autor gelingt. Ich habe zwar nicht
mitgefiebert, das eine oder andere Mal jedoch gedanklich jemanden
durchgeschüttelt. Der Schreibstil sorgt diverse Male für hochgezogene
Mundwinkel. Und auch wenn mich das eine oder andere daran gestört hat (siehe
unten), lassen sich beide Bücher sehr leicht und in einem Rutsch durchlesen.
Faktisch kann man die Bücher 13-14jährigen Mädchen beruhigt in die Hand
geben.
Die Geschichte spielt größtenteils in Berlin und wird von Emely selbst
erzählt. Obwohl sie, wie die anderen Figuren, über 20 ist, wirkt Emely nicht
sonderlich erwachsen - weshalb ich das Buch eindeutig als Jugendbuch einstufen
möchte. Die Covergestaltung beider Bücher trägt ebenso wie die einfach
gehaltene Sprache zu dieser Einschätzung bei, wobei mir Emelys Wortwahl an
mehreren Stellen nicht sonderlich gut gefallen hat (auch hierauf gehe ich
nachher noch einmal ein). Ich war gedanklich schon kurz davor eine Strichliste
für das Kribbeln, die Gänsehaut, den einseitig verzogenen Mundwinkel oder
ähnliches anzulegen, so häufig wurden bestimmte Worte/Redewendungen benutzt.
Positiv anmerken möchte ich allerdings, dass es zwar um eine
Beziehungsgeschichte geht, Sexszenen jedoch komplett außen vor bleiben (was gut
zum Jugendbuchcharakter passt). Lediglich ein paar Küsse und tiefe Blicke gibt
es - Gänsehaut und Kribbeln sind diesbezüglich aber allenfalls von Bartsch
benutzte Worte und kein Lesefeeling. Auch die Handlung selbst ist relativ eng
begrenzt, dreht sie sich doch größtenteils um Emelys Empfinden. Überraschende
Wendungen gibt es nicht. Nicht nur durch die Erzählperspektive begründete
Vorhersehbarkeiten, auch stetige Wiederholungen sorgen für gewisse Längen. Und
man stolpert von einem Klischee ins nächste. Eine wirkliche Entwicklung macht
weder die Geschichte noch einer der Charaktere auf den immerhin fast 1.000
Seiten durch. Genau das habe ich jedoch fatalerweise erwartet, nachdem ich vor
den beiden Büchern etwas über die Autorin gelesen habe, die mit Kirschroter
Sommer und Türkisgrüner Winter ihren LeserInnen nahebringen will, warum Emely
und Elyas füreinander bestimmt sind.
Während mir der Großteil der Figuren um Emely mehr oder weniger einnehmend
vorkam, tat ich mich mit der in Ich-Form erzählenden Hauptfigur von Anfang des
ersten bis fast Ende des zweiten Bandes extrem schwer. Dabei wirkt Emely zwar
unreif, aber wie alle anderen durchaus echt. Sie stellt sich stellenweise
verkrampft, größtenteils zornig und unbeherrscht vor. Sympathisch war sie mir
überaus selten. Diese Momente beschränkten sich vorwiegend auf ihren
E-Mail-Verkehr mit Lucca. Bartsch verwendet, wie etliche andere Autoren derzeit
auch, sowohl Kurznachrichten als auch E-Mail als festen Bestandteil des
Geschehens.
Dass Emely nach der Sache vor sieben Jahren vermutlich nicht einmal weiß, wie
man Selbstbewusstsein schreibt, ist die eine Sache. Das hätte mich nicht
gestört und wirkt auch in der dargestellten Form gar nicht so glaubwürdig.
Tatsächlich habe ich oft genug erlebt, welch fatale Folgen wenige Worte haben
können. Was mich jedoch regelrecht abgestoßen hat, war neben ihrem Verhalten
ihre Ausdrucksweise. Diese wirkt keineswegs gekünstelt oder falsch, doch sie
beißt sich die allermeiste Zeit schlicht und ergreifend mit meinem Verständnis
der Ausdrucksweise einer Studentin der Literaturwissenschaft, für die (Seite
33) Literatur mit einem magischen Zauber belegt ist, der sie mit all seiner
Kraft gefangen hält. Irgendwie gehe ich davon aus, dass jemand, der gerne und
viel liest, eine andere Wortwahl hat. Vielleicht liegt es auch einfach daran,
dass Worte wie Miststück, Idiot, Blödmann genauso wenig zu meinem gängigen
Tagesvokabular gehören, wie ich sie in dieser Fülle aus dem Mund anderer
hören oder lesen möchte. Klingt weltfremd, ich weiß. Aber ich finde, dass wir
eine herrliche Sprache haben, mit der wir Missfallen und negative Gefühle auch
ohne derbe Wortwahl und verbale Entgleisungen zum Ausdruck bringen können.
Emely benutzt die Worte außerhalb ihrer Mails jedenfalls gerne und überaus
häufig, nicht nur gedanklich und nicht nur im Bezug auf Elyas. Und dafür, dass
sie mit Sex nichts am Hut hat, dreht sich ihr Denken sehr viel darum. Egal ob es
um die Bedürfnisse ihrer in ihren Augen zu unersättliche Mitbewohnerin Eva
oder um die Baggerversuche von Elyas geht (wobei der Bagger da in meinen Augen
manchmal eher einem Teelöffelchen gleicht).
Während ich neben dem verständnisvollen Lucca auch den von Emely als
überheblich-arroganten, stets baggernden, ekelhaft beschriebenen Elyas fast
durchgehend nett fand (allein für die Bad-Szene nach der Halloween-Party hat er
etliche Sympathiepunkte bekommen), kam mir Emely selbst wie ein
beleidigt-zickiger, hormongeschüttelter Teenager der schlimmsten Sorte vor. ICH
scheint bei ihr von vorne bis hinten groß geschrieben zu sein. Ihre mit Füßen
getretene, ach so unsterblich-unvergessene Liebe zu Elyas besteht
(logischerweise größtenteils bereits durch die Erzählperspektive begründet)
neben der unerschöpflichen Auflistung all seiner Fehler, seiner berechnenden
Manipulationen und der stetigen Erwähnung ihrer durch ihn verursachten
emotionalen Verletzungen vorwiegend daraus, ihn mies zu behandeln, damit sie
sich besser fühlt. Da sie anderen nicht zuhören will, gehört Verzeihen
eindeutig nicht dazu. Vergessen schon gar nicht. Kompromisse und Liebe scheinen
bei ihr unvereinbar zu sein und überhaupt wirkt Emely in ihrem Egoismus eher
oberflächlich verliebt (was wiederum zu dem Jugendbuchcharakter passt). Sie tut
sich selbst am meisten leid. Dabei verschließt sie sich vor der Tatsache, dass
ihre boshaften Erwiderungen auf eigentlich ganz harmlose Bemerkungen seinerseits
ebenfalls verletzen können. Emily geht aus nichtigen Gründen in die Luft,
schlägt verbal blind um sich und lediglich Elyas Ausdauer und Geduld ist es zu
verdanken, dass sich die beiden näher kommen. Seinem abschätzig von ihr
beurteilten großen Ego verdankt sie es im Grunde genommen, dass er ihre
Sticheleien und Provokationen aushält. Er läuft ihr nach wie manch hungriger
Esel seiner Möhre und ihre bissig-biestige Art und Weise (die nicht
biestig-eloquent, sondern einfach eingeschnappt wirkt) sorgt dabei lediglich
für schief verzogene Mundwinkel bei ihm, Grinsen und Amüsiertheit.
Ihre passiv-abweisende Angriffshaltung gibt Emely eigentlich erst auf, als Elyas
seinerseits die Segel streicht. Nicht einmal als er am Ende des zweiten Bandes
gleich über zwei Kapitel hinweg seine Motive und sein geplantes Handeln
erläutert, kommt dieser jahrelang gehegte Abwehrmechanismus wieder hervor,
dabei entspricht Elyas Geständnis genau dem, was sie ihm permanent unterstellt
und er genauso vehement abgestritten hat. Ein weiteres Mal wird auf dem alles
entscheidenden Missverständnis herumgeritten. Die eigentliche Motivation für
die Hartnäckigkeit von Elyas wirkt dabei jedoch relativ unglaubwürdig. Neue
Erkenntnisse gewinnen Bartschs LeserInnen zudem nicht. Denn im Grunde kann man
das alles schon viele, viele Seiten vorher und nicht nur zwischen den Zeilen aus
der Geschichte herauslesen. Immerhin kommt es bereits recht schnell zu einer,
durch einen Joint (so langsam aber sicher frage ich mich, wie ich ohne so was
überhaupt 45 werden konnte) initiierten, entspannten Phase und damit verbunden
zu einer Aussprache bezüglich der alles verursachenden Worte. Die Versöhnung
scheint bereits da so nahe, die perfekte Beziehung auch. Immerhin haben beide so
viele Gemeinsamkeiten, dass es fast schon unheimlich ist.
Aber wie gesagt, sie scheint nur nahe, denn da gibt es ja Emelys ach so große
Verletztheit und ihre Angst erneut dem bitterbösen, berechnend-manipulativen
und selbstsüchtigen Elyas zum Opfer zu fallen. Für einen Schritt nach vorne
macht Emely also munter meist gleich drei zurück, weshalb ich auch beide
Bücher in einer Besprechung vorstellen möchte. Dieser Eiertanz ist nämlich
die gesamte Handlung beider Bücher. Darin gehen der Selbstmordversuch einer
gemeinsamen Freundin bzw. Bekannten, das Liebesglück von Alex und Sebastian,
die anstehende Hochzeit von Andy und Sophie, der schwere Verkehrsunfall von
Emelys Eltern und noch etliche andere Dinge (nicht in der Reihenfolge) ebenso
gnadenlos unter wie die Intention der Autorin. Elyas kann tun und machen, was er
will. Vermutlich könnte er die Sterne vom Himmel holen, es hätte keinen Sinn.
Es wird nicht klar, warum die beiden füreinander bestimmt sind - mir jedenfalls
nicht.
Fazit
Vermutlich wäre es besser gewesen, beide Bücher auf eines zusammenzukürzen
und dieses auch noch auf etwa 300 Seiten zu beschränken. Denn mehr gibt die
Handlung im Grunde nicht her. Wer Wert auf eine sich entwickelnde Handlung und
Gefühle (außerhalb von Verletztheit und Wut) legt, sollte auf alle Fälle die
Finger von beiden Büchern lassen. Wer jedoch einfach etwas zum Abschalten
sucht, ist damit durchaus gut bedient. Unabhängig davon: Die 14jährige Tochter
einer Bekannten war von beiden Büchern hellauf begeistert. Mich selbst hat die
Geschichte von Emely und Elyas jedoch nicht entflammt, stellt sie sich doch zu
einseitig und oberflächlich dar. Tödlich gelangweilt hat sie mich aber auch
nicht. Dennoch überwiegen die Schwachstellen, weshalb ich beiden Büchern nur
sechs von zehn Punkten geben möchte
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veröffentlicht am 05. Februar 2013 2013-02-05 16:31:14