Spießer sind immer die anderen. Bei Christian Rickens saßen sie eines Tages am
eigenen Küchentisch. Besucher, die sich in der Jungen Union kenngelernt haben,
liegen im Trend. Der Redakteur des Manager-Magazins setzt sich deshalb in seinem
Buch mit einigen Prominenten auseinander, die den neuen deutschen
Konservativismus publizistisch verwerteten und nun in wechselnder
Zusammensetzung ihre Bücher in Talkshows präsentieren: Bolz, di Fabio, Hahne,
Herman, Matussek und Schirrmacher. Die Auseinandersetzung mit diesen Autoren,
die ihre persönliche Einschätzung zum Trend erklärt haben, nimmt einen
großen Teil von Rickens Buch ein. Darüber, ob die genannten Autoren bedeutend
genug sind, um sie in einem weiteren Buch zu zitieren, ihre Ansichten zu
analysieren und mit ihren Namen das eigene Buch zu bewerben, kann man
unterschiedlicher Meinung sein.
Der Begriff "Neue Bürgerlichkeit" tauchte nach Rickens erstmals im
Jahr 1998 auf. Seitdem ist auch die Forderung nach Wiederbelebung
althergebrachter Tugenden nicht wieder verstummt. Rickens definiert die
"neuen Bürgerlichen" als pauschale, etwas voreilige Kritiker der
68-er Generation. Die Schuld an sämtlichen sozialen und politischen
Fehlentwicklungen der Gegenwart würde den 68ern zugeschoben; doch wer sowohl
Kritik an der Gegenwart als auch an den 60er Jahren übe, wolle wohl in die
spießigen 50er Jahre zurück, polarisiert der Autor. Die neuen Konservativen
seien das deutsche Gegenstück zu amerikanischen Neokonservativen, die an die
eigene Überlegenheit glauben und bereit sind, sie notfalls auch mit
Waffengewalt durchsetzen. Die neuen deutschen Spießbürger zeigten Ungeduld
gegenüber der immer noch andauernden Bewältigung der deutschen Vergangenheit,
forderten einen neuen Patriotismus, fänden ökologisches Denken
wachstumsfeindlich, hielten den eigenen konservativ geprägten Kunstgeschmack
für maßgeblich und hätten in der Ausländerpolitik politische Positionen
besetzt, die bisher nicht gesellschaftsfähig gewesen seien. Rickens erklärt
sich die Entwicklung des neuen Konservativismus mit der Furcht der bürgerlichen
Mitte vor gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Abstieg. Wer darauf beharre,
dass früher alles besser gewesen sei, verleugne die Lebenswirklichkeit der
Fünfziger in Deutschland und weiche der Auseinandersetzung mit der Gegenwart
und mit eigenen Fehleinschätzungen aus, betont der Autor. Gemeinsam sei vielen
der Neokonservativen, dass sie zu Nebensächlichkeiten Stellung nehmen (Kinder
sollen wieder Gedichte auswendig können), diese Forderungen nichts kosten,
keine Konsequenzen haben und nichts verändern. Bemerkenswert findet Rickens,
dass nur dem reaktionären Frauenbild Eva Hermans öffentlich ein scharfer
Gegenwind entgegenblies, nicht aber den männlichen Verfechtern der
Zurück-an-den-Herd-Ideologie. Die eigenen Interpretationen des
Wirtschaftsjournalisten reichen von Idealisieren (Warum haben wir in Deutschland
keine muslimischen Yuppies wie die Amerikaner) bis zur Verharmlosung
(europäischer Wettbewerb auf dem Billiglohnsektor, Sozialhilfekarrieren,
Gewalt). Realistisch finde ich Rickens Analyse, das politische System der
Bundesrepublik sei bisher unfähig zur Entwicklung nachhaltiger Lösungen
gewesen. Ein nicht mehr kooperierender Wähler-Typ, der nur noch an
Schadensbegrenzung interessiert ist, sei die Antwort auf dieses Versagen.
Vernünftig klingt Rickens Hinweis, dass eine Gesellschaft, die Kinder wolle,
das Kinderaufziehen schlicht billiger machen solle. Dass der Autor Kinderlose
ungern als Schmarotzer des Sozialsystems bezeichnet sieht, war zu erwarten.
Rickens These (liberal, aber nicht neokonservativ), eine staatliche
Grundsicherung sei für Arbeitslose ein Anreiz zur Tätigkeitsaufnahme und
stärke die Selbstverantwortung, sollte der Autor genauer begründen.
Fazit
Rickens flott zu lesendes und streckenweise flapsig formuliertes Portrait der
neuen Bürgerlichkeit fasst einige aktuelle Trends zusammen. Die Stärke des
Autors ist die Beschreibung politischer und wirtschaftlicher Zusammenhänge.
Wenn es um die Analyse sozialer Folgen der von ihm dargestellten Entwicklungen
geht, kann der Autor sich nur selten von seiner Perspektive des kinderlosen
erfolgreichen Akademikers mit sicherem Job lösen. Ob eine gesellschaftliche
Entwicklung oder eine soziale Fehlentwicklung als marginal betrachtet wird,
hängt auch von der Lebensrealität des Betrachters ab. Rickes Perspektive des
kinderlosen Mannes liegt zur Zeit noch im Trend. Wenn in naher Zukunft ein
großer Teil der Journalisten an Leiharbeitsfirmen outgesourct sein wird,
könnte Ricke als einer der letzten Inhaber eines sicheren Arbeitsplatzes bald
selbst zur Marginalität erklärt werden.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 21. März 2007 2007-03-21 18:02:21