Bücher über Kriege gehören grundsätzlich nicht zu meiner Standardlektüre
(jemand sagte mir, dass es ein Buch über den Afghanistankrieg wäre).
Andererseits lese ich so ziemlich alles, was auch nur andeutungsweise meinen
Blick kurzfristig auf sich zieht. Bei Die Narben der Hölle war es die
Augenpartie des Mannes auf dem Covermotiv. Und so landete vor wenigen Wochen der
Roman auf meinem kleinen Stapel ungelesener Bücher. Wie die allermeisten
Bücher lag er dort nicht lange.
Recht bald habe ich bemerkt, dass der Afghanistankrieg zwar omnipräsent im
Hintergrund Raum fordert, jedoch nur einen Rahmen um die eigentliche Geschichte
bildet. Vielmehr geht es um die psychologisch gut herausgearbeitete Hauptfigur
Johannes Clasen. Der Hauptmann der Bundeswehr kehrt schwer verletzt und mit
einer kongraden Amnesie aus Afghanistan zurück. Bei seinem letzten Einsatz soll
er zwei unschuldige Kinder getötet haben. Obwohl das eingeleitete
Untersuchungsverfahren zu dem Schluss kommt, dass man ihm nichts anlasten kann,
belastet Clasen die Situation schwer. Im Rahmen einer Türkeireise hofft er,
seinen inneren Frieden auf einer Segeltour wiederzufinden. Dort angekommen
fühlt er sich jedoch verfolgt und bald darauf wird er tatsächlich angegriffen.
Gleich mehrere Killer versuchen ihn zu töten. Ihre Motivation liegt offenbar in
den Vorkommnissen in Afghanistan begründet.
Präsentiert wird die Geschichte aus verschiedenen Zeitebenen und Perspektiven.
Da ist einmal Clasen, der sich verzweifelt zu erinnern versucht und gleichzeitig
Angst vor der Gewissheit hat. Aus seiner Sicht wird aus dem aktuellen Geschehen
heraus und aus seiner Zeit in Afghanistan beziehungsweise aus der Zeit in
Deutschland vor und nach seinem letzten Aufenthalt dort erzählt. Da sind aber
auch ein afghanischer Warlord, seine Untergebenen und dessen Widersacher, die
für andere Blickwinkel sorgen. Der Autor springt gleich anfangs von einer
Perspektive zur anderen und wieder zurück, ohne jeweils beim Erzählen der
einen zu viel im Bezug auf die anderen zu verraten.
So schafft es der Autor mit seinem Debütroman, der im Übrigen für den
Friedrich-Glauser-Debütpreis vorgeschlagen wurde, seine LeserInnen recht
schnell in das Geschehen eintauchen zu lassen. Seine Schilderung des
Soldatenlebens klingt ebenso glaubwürdig wie das von Clasen erlittene Trauma.
Das stetige Grübeln, die angeschnittenen Beziehungsprobleme, das sich verraten
fühlen, das sich verlassen fühlen bis hin zur Frage, ob der Einsatz in
Afghanistan überhaupt Sinn macht - all das klingt plausibel nachvollziehbar und
offenbart die innere Zerrissenheit der Hauptfigur. Gleichzeitig gelingt es dem
Autor durch die aus der Sicht der afghanischen Charaktere geschilderten Passagen
zu zeigen, dass Denkweisen aufeinandertreffen, die gegensätzlicher nicht sein
können. Er umreißt die verworrene politisch-ökonomische Konstellation in
Afghanistan, wo alte Stammesstrukturen, Korruption und Drogengeschäfte mit
dafür sorgen, dass eine Stabilisierung, Normalisierung und Frieden nahezu
unmöglich zu sein scheint. Gleichzeitig wird aber auch klar, dass eine zu
schlichte Einteilung in Gut und Böse nicht einfach so funktioniert.
Dass das, was Neumann von der Situation am Hindukusch schreibt, nicht aus der
Luft gegriffen wirkt, liegt vermutlich daran, dass er selbst als Offizier der
Luftwaffe tätig war, bevor er für eine Versicherungsgesellschaft zu arbeiten
und irgendwann mit dem Schreiben begann. Er berichtet in seinem Roman
glaubwürdig von den Soldaten, die sich faktisch bereits im Krieg befanden, als
Politiker hierzulande das Wort noch nicht einmal auszusprechen wagten und die
Bevölkerung für dumm verkauften. Doch Neumann lässt auch durchblicken, dass
den Soldaten der Sinn ihres Einsatzes fragwürdig vorkommt, dass sie über
politische Fallstricke zu stolpern drohen und zur Wahrung des öffentlichen
Bildes von Politikern und Vorgesetzten verraten werden. Dazu tragen auch die
unterschiedlichen Aufträge und Befugnisse der verbündeten Truppen bei.
Sukzessive webt Neumann den Handlungsablauf aus verschiedenen Handlungsebenen
zusammen. Durch die Vorgeschichte wie auch durch die sich anbahnende
Bedrohungssituation mit Beschattung und den Mordanschlägen auf Clasen erzeugt
er eine dramatische Spannung, wirft Fragen auf, findet interessante Antworten.
Man kann das Buch kaum aus der Hand legen.
Allerdings nur bis etwa zur Hälfte des Buches. Obwohl der Autor auch weiterhin
gekonnt ein Wort ans andere reiht, beginnt die Geschichte sich leicht zu ziehen.
Nicht nur, weil er etwas zu ausführlich auf (seine private Passion) das Segeln
eingeht, auch weil sich durch die Perspektivwechsel jetzt doch die eine oder
andere Vorhersehbarkeit abzeichnet. Ein weiteres Manko ist, dass sich Neumann
etwas zu sehr diverser Klischees bezüglich der afghanischen Bevölkerung, der
Taliban, der Warlords und Drogenbarone bedient. Die Auflösung der Probleme in
der Türkei wirkt am Ende des Romans letztlich zu glattgebügelt, um wirklich
rundum zu überzeugen.
Fazit
Ein Debüt mit Ausbaupotenzial. Kein Buch zum einfach nebenher lesen, dazu
werden zu viele Fragen angesprochen, die uns alle aktuell betreffen. Neumann
präsentiert mit Die Narben der Hölle einen Roman, der sich etwas abseits
üblicherweise verwendeter Ideen für einen Thriller bewegt. Lesenswert ist er
allemal, denn trotz kleinerer Schwächen habe ich mich genauso gut wie
informativ unterhalten gefühlt und nachdenklich hat mich das Buch auch gemacht.
Insgesamt möchte ichacht von zehn Punkten dafür vergeben.
Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)
Vorgeschlagen von Ati
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veröffentlicht am 31. Januar 2013 2013-01-31 12:34:02