Die in Thüringen aufgewachsene und nach wie vor dort lebende Autorin studierte
Mathematik und Physik und unterrichtet an einem Gymnasium. Nachdem ihre Kinder
aus dem Gröbsten heraus waren, konnte sie sich zudem der Verwirklichung eines
lang gehegten Traums widmen und ging dem Schicksal ehemaliger Bewohner von Burg
Lohra nach. Unter dem Pseudonym Simone Knodel veröffentlichte sie anschließend
2004 ihren ersten historischen Roman Adelheid von Lare, dem 2008 Radegunde von
Thüringen folgte. 2011 erschien dann der ursprünglich von Weltbild
herausgegebene und jetzt als Taschenbuch bei KNAUR neu aufgelegte Roman Das
Geheimnis der Äbtissin, dem die historisch belegte Äbtissin des Klosters
Eschwege Judith von Lohra zugrunde liegt.
Der Name ist geblieben, denn laut Inhaltsangabe geht es in Das Geheimnis der
Äbtissin um Judith, die auf Lare aufgewachsen ist, und sich für Heil- und
Kräuterkunde interessiert. Im Zuge dessen kümmert sie sich nicht nur um die
Gemahlin des Kaisers, sondern lernt auch Silas kennen und lieben. Der maurische
Leibarzt des Kaisers erwidert ihre Gefühle, doch die gesellschaftlichen Zwänge
verhindern ein Zusammenkommen.
Die Geschichte beginnt im Sommer 1156 (Judith ist zu diesem Zeitpunkt noch keine
13 Jahre alt) und endet (lange nach ihrem Verschwinden 1191) im Jahr 1220 in
Eschwege. Sie umspannt also somit nahezu das gesamte Leben der Hauptfigur.
Bieten all diese Jahre jede Menge Stoff für gemütliche Lesestunden? Zumal ja
auch der Titel auf einen spannenden zweiten Erzählstrang hindeutet. Wer liebt
schließlich keine Geheimnisse?
Inhaltsangabe und zumeist positive Leserstimmen weckten meine Neugier und bald
darauf durfte ich Das Geheimnis der Äbtissin in Händen halten. Recht
vielversprechend beginnt der Roman dann auch gleich mit dem eigentlichen Ende im
Jahr 1220 und einer drohenden Verhaftung und im Zuge dessen auch vermuteter
Folter. Danach geht es in die Vergangenheit und es folgt die Geschichte, die zu
eben dieser Verhaftung führt.
Gleich anfangs offenbart sich Judith als gleichermaßen
sympathisch-wissbegierige wie mutige Hauptfigur. Sie steht nach dem Tod ihrer
Mutter nicht nur dem Haushalt ihres Vaters auf Lare vor und erzieht ihre beiden
Brüder mit. Darüber hinaus bietet sie auch der Tochter und der intriganten
Gemahlin des Kaisers Obdach und Freundschaft. Ihr bereits bestehendes Interesse
für die Heilkunde wird mit einem Unfall eines ihrer Brüder und der Ankunft des
maurischen Leibarztes des Kaisers, des Sklaven Silas, verstärkt. Im Laufe der
Jahre wird Judith erwachsen, überquert als Begleiterin der Gemahlin der jungen
Kaiserin die Alpen und landet in Italien mitten im Krieg. Dort werden ihre
heilerischen Fähigkeiten auf die Probe gestellt, denn sie arbeitet Hand in Hand
mit Silas und auch die Kaiserin benötigt ihre Hilfe. Während dieser Reise
bekommt sie zufällig mit, was die junge Kaiserin auf Drängen ihres Bischofs
gegen ihre Kinderlosigkeit unternimmt und hat fortan einen Geistlichen zum
Feind, der offenbar auch vor Mord nicht zurückschreckt. Judith kehrt nach Hause
zurück und wird nach etwas mehr als der Hälfte des Buches dann Nonne und
später Äbtissin des Cyriakusstifts zu Eschwege. In diesem Zusammenhang wird
sie in ein weiteres Geheimnis eingeweiht. Judith gerät also mehr als einmal in
Gefahr.
Die Beschreibung der damaligen Zeit ist anschaulich und nachvollziehbar
gestaltet. Egal ob es sich um die Lebens- und Wohnverhältnisse, die Macht der
Kirche und ihrer Vertreter, die Willkür der Herrschenden, die Verklärung des
Rittertums oder das damalige Frauenbild handelt: Man hat keine Schwierigkeiten,
sich die Gegebenheiten und Unwägbarkeiten vorzustellen. Der Schreibstil der
Autorin ist an die damalige Zeit angepasst und lässt sich grundsätzlich leicht
lesen.
Dennoch: Trotz der hintergrundmäßig dichten Atmosphäre und der an sich
spannenden Grundidee konnte mich der Roman nicht wirklich fesseln. Dazu hat die
Geschichte in meinen Augen bedauerlicherweise zu viele Schwachstellen.
Zum einen blieben mir die Charaktere abgesehen von Judith samt und sonders
fremd. Sie sind zu distanziert und eher oberflächlich skizziert. Nicht einmal
Silas wird näher beleuchtet. Die nach Lektüre der Inhaltsangabe vermutete
Liebesgeschichte kommt, auch weil die beiden tatsächlich gesellschaftsbedingt
überaus wenig Zeit miteinander verbringen, nicht zum Tragen. Und obwohl (nicht
nur) Judith für damalige Verhältnisse alt wird, entwickelt sie sich in meinen
Augen nicht wirklich weiter. Man könnte sagen, dass sie trotz einiger
mädchenhafter Züge von Anfang alt ist oder sich im Alter auch etwas
Mädchenhaftes bewahrt, allen Erlebnissen zum Trotz. Das mit dem früh alt
wirken kann durchaus mit der damaligen Zeit zusammenhängen, in der Kindern
nicht unbedingt viel Zeit für ihre Kindheit zugebilligt wurde. Doch genau
dieses Stehenbleiben ihres Charakters führte dazu, dass Judith mir im Laufe der
Geschichte zunehmend fremder wurde.
Unabhängig davon wirken die Geheimnisse etwas zu bemüht. Ihre angedeutete
Brisanz wird durch die tatsächliche Handlungsweise der Geheimnisträger ad
absurdum geführt. Zwar erscheinen Judiths Reaktionen durchaus nachvollziehbar,
die ihrer Widersacher jedoch in gewisser Weise recht ausgebremst.
Wie bereits erwähnt, kann eine lange Handlungsdauer für viele gemütliche
Lesestunden sorgen. Zu viele Jahre können eine Geschichte faktisch aber auch
zerstückeln und in Das Geheimnis der Äbtissin finde ich die Proportionierung
der Jahre tatsächlich nicht sehr gelungen. Bereits zwischen den Jahren 1156 bis
1166 treten kleinere Zeitsprünge auf, die jedoch zunächst nicht weiter ins
Gewicht fallen. Insgesamt widmet die Autorin diesen Jahren, in denen sich
Judiths und Silas‘ Wege mehrfach kreuzen und wieder trennen, bereits zwei
Drittel des Buches. 1166 ist Judith schon Nonne geworden, jedoch noch keine
Äbtissin. Auf Seite 342 findet man sich dann plötzlich im Jahr 1184 wieder.
Dort wird erwähnt, dass Judith Äbtissin des Cyriakusstifts geworden ist und
vom Kaiser nach Mainz geladen wird. Abgesehen davon, dass sie bei dieser Reise
Silas erneut begegnet, spielt die Beziehung der beiden nach wie vor eine eher
untergeordnete Rolle. Zu ausführlich geht die Autorin stattdessen auf ein
Ereignis im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten ein und ganz nebenbei auch auf
eines der Geheimnisse, knüpft angedachte Intrigen und weitere Widersacher in
die Geschichte ein. Dann folgt ein weiterer Sprung ins Frühjahr 1191 und damit
zum bereits angesprochenen Verschwinden Judiths. Ihre Beweggründe für eine
Flucht sind zwar durchaus nachvollziehbar erklärt. Die ihres Widersachers
jedoch nicht. Speziell dieses Kapitel lässt den Eindruck entstehen, dass hier
die Geschichte schnell und irgendwie fertig erzählt werden musste. Auch Silas
wird darin wiederum eher präsentiert als geschickt mit der Handlung
verwoben.
Und gerade die letzten beiden Zeitsprünge drohen die roten Handlungsfäden um
Silas und Judith beziehungsweise um Judiths Geheimnisse fast zu zerreißen.
Insgesamt nehmen sie der Geschichte eindeutig an Spannung. Zu vieles wird
einfach erwähnt, ohne wirklich erklärt zu werden. Zu oft wird vom Tod einer
Figur berichtet, die entweder zuvor bereits nahezu sang- und klanglos aus dem
Fokus der Autorin verschwunden zu sein scheint oder aber gerade erst an Kontur
gewinnt. Trotz mehrerer geschickt angedachter Wendungen kommt die verlorene
Spannung für mich auch nicht wieder auf.
Beide Erzählstränge haben letztlich ein offenes und im Bezug auf Silas und
Judith tatsächlich überraschendes Ende. Dieses lässt nicht nur LeserInnen
Platz für eigene Gedankengänge. Es bietet der Autorin auch Raum für eine
Fortsetzung.
Fazit
Eins der Bücher, die mich gespalten zurücklassen. Einerseits der anschaulich
beschriebene Hintergrund, der dazu passende Schreibstil, die leicht lesbare
Sprache und die anfangs überaus sympathische Hauptfigur. Andererseits sorgt der
zunehmende Spannungsverlust für Längen, die das Lesen erschweren. Erschwerend
hinzu kommen die überwiegend zu blassen Charaktere und dann noch die
Diskrepanz zwischen der Inhaltsangabe und der daraus bei mir entstehenden
Erwartungshaltung. Wirklich schlecht fand ich das Buch nicht, dazu fand ich den
historischen Bezug zu gut gelungen. Doch richtig packen konnte mich Judiths
Geschichte auch nicht, weshalb ich für Das Geheimnis der Äbtissin nur fünf
von zehn Punkten vergeben möchte.
2013 Antje Jürgens (AJ)
Vorgeschlagen von Ati
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veröffentlicht am 24. Januar 2013 2013-01-24 18:09:13