Constanze Kleis ist - wie man dem Buchumschlag oder diversen Verlagsseiten
entnehmen kann - Journalistin und Buchautorin. Zusammen mit Susanne Fröhlich
verfasste sie mehrere Bestseller, war 2002 für den Deutschen Buchpreis
nominiert. Darüber hinaus arbeitet sie freiberuflich für Zeitschriften wie
Cosmopolitan und Elle aber auch für die Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung.
Normalerweise schreibt Kleis in ihren Büchern auf spritzige Art und Weise über
erheiternde Themen. Ihr Name, das Cover und der provokative Titel Sterben Sie
bloß nicht im Sommer - Und andere Wahrheiten, die Sie über Ihr Ende wissen
sollten vermitteln bei einem flüchtigen Blick den Eindruck, dass es in dem im
August 2012 bei Dumont erschienen Buch ebenfalls so sein könnte. Allerdings ist
das Gegenteil der Fall. Trotz des erkennbaren, frisch-humorigen Schreibstils der
Autorin ist das Buch bitterernst. Constanze Kleis verfasste es nach der
unheilbaren, tödlich verlaufenden Erkrankung ihrer Mutter und den in diesem
Zusammenhang gemachten Erfahrungen im Krankenhaus-, Reha- und Pflege-Alltag.
Ohnmächtige Wut kann dafür sorgen, dass man ungerecht wird. Blind um sich
beißt oder schlägt, um sich zu wehren. Dass man anklagend auf jemanden zeigt,
weil man sich verraten fühlt. Und angesichts der von der Autorin geschilderten
Erlebnisse kann man ihre Wut in gewisser Weise fühlen. So lässt sie sich etwa
auf Seite 210, kurz nach dem Tod ihrer Mutter, über den Hausarzt aus. Zitat: Er
wäre so gerne ein wirklich guter Mensch. Außer mittwochs. Da ist die Praxis
geschlossen und auch das Mitgefühl hat Ruhetag.
Ist das Buch nur ein posthumer Aufschrei nach dem Tod ihrer Mutter?
Stellvertretend gegen all das, wogegen man anschreien kann, weil besagter Tod
einfach keine Ohren hat? Oder steckt mehr dahinter?
In ihrem Buch erzählt die Autorin nicht nur die Krankengeschichte ihrer Mutter,
die sie zusammen mit ihrer Schwester und ihrem Vater bis zuletzt eng begleitete.
Sie startet tatsächlich auch einen Rundumschlag gegen die Entmenschlichung in
unserem zunehmend privatisierten und gewinnmaximierten Gesundheitssystem und der
damit verbundenen profitablen Sterbeindustrie. Erwähnt dabei Ärzte, die nicht
mit der Familie reden wollen. Pampig reagierendes Klinikpersonal, das zudem
stellenweise schlampig bis fahrlässig arbeitet. Schreibt von denjenigen, die
gerade dann im Urlaub sind, wenn man sie braucht und fatalerweise keine
Vertretung haben. Von Behandlungsdokumentationen, die nicht nur lückenhaft
sind, sondern von der Wirklichkeit abweichen. Berichtet von Klinikverwaltungen,
die nach berechtigten Reklamationen Einschüchterungsversuche starten. Lässt
auch Versicherungen, Kranken- und Pflegekassen und den Medizinischen Dienst
nicht außen vor, die auf Paragrafen und/oder Richtlinien beharrend auf Zeit
spielen, wo es gar keine Zeit mehr zu verlieren gibt. Und wettert eben gegen
jenen Hausarzt, der entgegen der Beteuerung, jederzeit erreichbar zu sein, nicht
erreichbar war.
Die von ihr geschilderten Übel sind, so persönlich Constanze Kleis sie auch
erlebt hat, seit Langem allgemein bekannt. Dennoch haben sie sich in den
vergangenen Jahren fatalerweise eher intensiviert als verbessert.
Tatsächlich hat Kleis zu gut recherchiert und die Ergebnisse stringent in ihr
Buch eingeflochten, als dass man ihr den Vorwurf eines traumabedingten,
verzweifelt-pauschalen Rundumschlags machen kann. Die Autorin verweist zur
Untermauerung ihrer Aussagen auf Studien und diverse Berichte, nennt Quellen und
gibt Interviews wieder. Sie geht auf Fördermittel ein und Privatisierung, auf
Lohndumping, bürokratischen Unsinn und unlogische Dezentralisierungen. Spricht
explizit zu viele Dinge (etwa die ungleiche Bezahlung häuslicher Pflege im
Gegensatz zu einer solchen mittels Pflegediensten oder in Pflegeheimen) an, die
in unserem Gesundheitswesen allgemein eindeutig besser laufen bzw. völlig
geändert werden müssen.
Stellenweise beißend sarkastisch, dann wieder leicht ironisch, mal bitter, mal
voller Trauer aber nicht weinerlich und mal distanziert schildert die Autorin
Missstände, die (wie ich aus eigener Erfahrung weiß) bedauerlicherweise und
leider nicht nur hierzulande ganz und gar nicht unrealistisch sind. Egal ob es
sich darum handelt, dass man als Angehöriger für diverse Ärzte praktisch
unsichtbar oder für hysterisch oder grenzwertig minderbemittelt gehalten wird.
Oder darauf, dass man seltsamerweise irgendwann sogar Verständnis für Dinge
entwickelt, für die man im Grunde kein Verständnis haben kann, einfach weil
man keine Alternative weiß. Dass unabhängig vom Umgang mit den Angehörigen
Kranke zum Teil (glücklicherweise nicht immer) sukzessive ihrer Würde beraubt
werden. Das Mitgefühl ein Auslaufmodell in unserer Gesellschaft zu sein
scheint. Und dass man während der schweren Zeiten, die lebensbedrohliche und
akute Erkrankungen mit sich bringen, in einem Meer aus Hilflosigkeit zu
ertrinken droht. Dass man geradezu erstarrt und sich allein gelassen fühlt.
Dass man sich nicht traut, auf den Tisch zu schlagen, weil man fürchtet, dass
der Falsche und Schwächste die Konsequenzen tragen muss. Dass es eine
riesengroße Diskrepanz zwischen beworbener oder gepriesener Wahrheit und
tatsächlichen Gegebenheiten gibt.
Insgesamt lässt Kleis ihre LeserInnen nicht nur an ihren individuell gemachten
schlechten Erfahrungen und schockierenden Rechercheergebnissen im Bezug auf
Studien, Statistiken und Berichten teilhaben. Auch andere Betroffene und
(menschlich gebliebene) Behandler tragen ihren Teil zum Buch in Form von
Interviews bei. Etwa ein ganzheitlich denkender und handelnder Chirurg aus
Frankfurt. Oder eine Krankenschwester, die ihren Beruf einst aus der
Überzeugung ergriff, anderen damit wirklich helfen zu können; heute jedoch
desillusioniert resümiert, dass sich das Berufsbild völlig verändert hat.
Kleis ist nicht blind gegenüber der Tatsache, dass die eigene Moral angesichts
häuslicher Pflege auf den Prüfstand gehört. Sie lässt auch die Tatsache
nicht unberücksichtigt, dass manchen Angehörigen im Zuge einer privaten Pflege
nichts anderes übrig bleibt, als konspirativ und nicht immer ganz legal zu
agieren, wollen sie ihren Kranken eine adäquate Versorgung bieten. Fatalerweise
werden - wie auf Seite 206 zu lesen ist - zu Hause betreuten Pflegebedürftigen
doppelt so häufig Leistungen verwehrt, wie denen in Pflegeheimen.
All dies, ist trotz der enthaltenen Tragik und Wut dank des ganzen Sarkasmus auf
durchaus unterhaltsame Weise und mit dezentem Wortwitz niedergeschrieben.
Leichter wird die Lektüre dadurch nicht, dazu ist die Thematik einfach zu
ernsthaft und aufwühlend.
Verständlicherweise hat die Autorin mit ihrem Buch einigen Widerspruch bei
denen ausgelöst, die sich negativ davon angesprochen fühlen. Bei einigen davon
kann man mit Sicherheit den Spruch "getroffene Hunde bellen" anwenden.
Genauso sicher darf man aber vermutlich davon ausgehen, dass Kleis im Zuge des
Erlebten dem einen oder anderen Beteiligten auf die Füße getreten ist, obwohl
der oder die betreffende Person am wenigsten dafürkonnte. Einfach, weil man
auch als Kranker oder Angehöriger einen (durchaus nachvollziehbaren) Egoismus
entwickelt, den man anderen jedoch nur bedingt zubilligt.
Nicht jeder hat das Glück im Fall einer schwerwiegenden oder gar tödlichen
Krankheit über Angehörige zu verfügen, die sich finanziell und/oder zeitlich
in Pflege und Versorgung einbringen können. Nicht jeder hat die Kraft, im Fall
der Fälle den Kampf gegen Windmühlenflügel aufzunehmen. Doch genau so ein
Kampf kommt viel zu häufig auf Kranke und ihre Angehörigen zu. Constanze Kleis
hat ihn, gemeinsam mit ihrer Familie, erlebt und in einem berührenden,
aufwühlenden Buch verarbeitet.
Fazit
Sterben Sie bloß nicht im Sommer - Und andere Wahrheiten, die Sie über Ihr
Ende wissen sollten ist kein Buch für nebenher. Die darin von der Autorin
aufgeworfenen Fragen können Angst machen, ebenso wie die eine oder andere von
ihr gefundene Antwort. Nicht, weil es keine Lösungsansätze an sich zu geben
scheint. Eher, weil die wenigsten von uns vor schwerwiegender Krankheit und den
daraus resultierenden Folgen gefeit sind. Es ist kein leichtes Buch, aber ein
lesenswertes. Eins das berührt, polarisiert, fassungslos und nachdenklich macht
und unter die Haut geht. Die in dem Buch zum Ausdruck kommenden Gefühle
(Trauer, Verbitterung, Wut) sind logischerweise nicht objektiv, da sie aus
eigenen schmerzhaften Erfahrungen entstanden sind. Sie lassen sich nicht werten.
Die Recherchen und der Schreibstil schon. Ob man es im Fall der Fälle schafft,
den latent ausgesprochenen Empfehlungen der Autorin Folge zu leisten, steht
zugegebenermaßen auf einem anderen Blatt. Doch es ist wichtig, dass diese
Themen immer wieder und immer lauter angesprochen werden. Dass man nicht alles
hinnimmt. Dass man sich wehrt. Nur so schaffen wir es vielleicht irgendwann
wieder, unsere Kranken in Würde zu behandeln, zu pflegen und zu verabschieden,
statt uns kräfteraubend um Unsinnigkeiten streiten und gegen gewinnorientierte
Sparmaßnahmen kämpfen zu müssen.
Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)
Vorgeschlagen von Ati
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veröffentlicht am 20. Januar 2013 2013-01-20 15:08:40