Die 1972 in München geborene und heute dort lebende Barbara Streidl
beschäftigt sich nicht nur als Gründerin und auf ihrem Blog www.fraulila.de
mit dem Thema Feminismus. Bereits 2008 wurden sie und die Mitbetreiber des
Webblogs maedchenmannschaft.net mit dem Preis Best German Blog ausgezeichnet.
Streidl studierte Germanistik und Komparatistik, arbeitet als Musikerin,
Journalistin und Autorin. Aus ihrer Feder stammen die bei blanvalet erschienenen
Bücher Wir Alphamädchen - Warum Feminismus das Leben schöner macht und das
gerade vor mir liegende KANN ICH GLEICH ZURÜCKRUFEN? Der alltägliche Wahnsinn
einer berufstätigen Mutter.
Beide Bücher würde ich, da mir kein anderes Genre dazu einfällt, in die
Kategorie Nonfiction sortieren, obwohl Streidl ihre LeserInnen in KANN ICH
GLEICH ZURÜCKRUFEN? Der alltägliche Wahnsinn einer berufstätigen Mutter an
acht Tagen aus dem Leben einer fiktiven Mutter, aktuell und von eben dieser
Mutter selbst erzählt, teilnehmen lässt.
Das Cover, soviel gleich vorab, vermittelte mir einen etwas falschen Eindruck.
Das gelbe Piktogramm einer weiblichen Gestalt, der der Kopf zu summen scheint,
mit klingelndem Handy in der einen und einem Kinderwagen an der anderen Hand,
scheint zusammen mit dem Titel zunächst auf einen heiteren Roman für Frauen
hinzudeuten. Auch die Inhaltsangabe erweckt, flüchtig gelesen, diesen Eindruck.
Die gewählte Farbe (Dunkelmagenta) für den Bucheinband an sich verstärkte
dann meine heiter-fröhliche Erwartungshaltung an das Buch zusätzlich.
Lediglich ein Satz von Andrea Nahles, in dem Sie das Buch als leidenschaftliches
Plädoyer für eine Arbeitswelt bezeichnet, in der man sich nicht für seine
Kinder entschuldigen muss, weckte in mir den Verdacht, dass es sich dann doch um
etwas anderes handeln könnte.
Und tatsächlich las ich dann eine eher sachlich-ernste Schilderung von acht
Tagen im Leben einer jungen Frau. Sie ist verheiratet mit einem
verständnisvollen und so erfolgreichen Mann, dass sie gar nicht arbeiten muss.
Sie haben ein gemeinsames Kind. Besagtes Kind geht in die Kita. Es gibt eine
Oma, die ebenfalls darauf aufpasst. Es gibt eine Putzfrau, die im Haushalt
hilft. Es gibt Elternzeit, Elterngeld sowie Kindergeld. Eigentlich alles also,
um glücklich zu sein. Wenn da nicht das wäre, wovon jede Mutter ein Lied
singen kann - und zwar nicht nur die Berufstätigen, wobei die natürlich
eventuell in verschärfter Form. Ständiger Druck bestimmt den Alltag der jungen
Frau, die gerne arbeitet und so schnell wie möglich in ihren Beruf
zurückgekehrt ist, um den Anschluss nicht zu verlieren. Dieser Druck wird von
der Angst zu versagen ausgelöst. Nicht nur weil das Muttersein beim ersten Kind
eben noch neu ist, auch weil das Organisationstalent permanent auf die Probe
gestellt wird, wenig zeitlicher Spielraum bleibt und die Schere zwischen Plan
und Realität bisweilen zu sehr auseinanderklafft. Der Druck wird auch
ausgelöst durch Wut und schlechtes Gewissen. Gegenüber dem Kind (weil es da
ist?), dem Arbeitgeber, den Kollegen, dem Mann, der Oma, den Kita-Angestellten
(weil sie sich von allen irgendwo, irgendwie, irgendwann im Stich gelassen oder
angegriffen fühlt?) Das eine bedingt das andere und umgekehrt. Ganz kritisch
wird es, als die Oma von heute auf morgen aus gesundheitsbedingten Gründen
ausfällt und selbst zu einem Problem wird.
Diese Probleme haben sich - mal Hand aufs Herz - nicht allzu sehr geändert in
den letzten Jahren. Kindererziehung und Pflege von Angehörigen ist etwas, das
nach wie vor eher Frauen als Männer stemmen. Wer aus einer wirtschaftlich
sicheren Situation als Mutter arbeiten geht, wird auch heutzutage noch schnell
als karrieregeil und eigensüchtig verschrien. Die Mütter, die aus
wirtschaftlicher Not heraus berufstätig sind, müssen einfach funktionieren und
froh um ihren Arbeitsplatz sein. Kita, Kindergeld, Elterngeld, Erziehungsurlaub,
Arbeitsplatzgarantie - all das haben die Mütter vor einigen Jahrzehnten nicht
oder kaum gekannt und in Anspruch nehmen können. Trotzdem ist mit Einführung
all dieser wunderbaren Errungenschaften das Leben für sie nicht zwingend
leichter geworden, weil die Ansprüche gestiegen sind.
Die Bildungschancen und Karrieremöglichkeiten der Frauen haben sich verbessert,
in der beruflichen Perspektive werden Kinder jedoch immer noch als eine Art
Hemmschuh betrachtet. Gleichzeitig verschärfen sich unabhängig davon die
Bedingungen wieder. Wenn man etwa die brandaktuelle Entwicklung im Rentenbereich
betrachtet, scheint es für alle künftigen Rentenempfängerinnen eindeutig
ratsam, schnell wieder ins Arbeitsleben einzusteigen.
Streidl lässt ihr fiktives Elternpaar über diese Probleme diskutieren, bindet
dabei die Ergebnisse diverser Studien ein. Die beiden kritisieren zusammen oder
getrennt arbeitspolitische Fragen (von der eigenen Tätigkeit, im Bezug auf ihre
eigene Putzfrau oder anlässlich der unterbezahlten Erzieherinnen in der Kita
ihres Sohnes), führen mehr oder weniger konstruktive Gespräche. Spätestens
hier wird unabhängig von den ständigen Beteuerungen (gar nicht arbeiten zu
müssen) der erzählenden Hauptfigur klar, dass Streidls Hauptfigur keineswegs
für alle berufstätigen Mütter steht, sondern eher gut gebildete, finanziell
abgesicherte Mütter in stabilen sozialen Verhältnissen betrifft.
Mehr als eine (reale) Mutter wird sich in Streidls fiktiver Gestalt und den auf
acht Tagen komprimierten Erlebnissen und Emotionen wiedererkennen.
Bedauerlicherweise wird keine von ihnen einen ungefähren Lösungsansatz für
die breit gefächerten, gut recherchierten aber sehr trocken dargestellte
Problemstellungen finden. Obwohl die innere Zerrissenheit der Hauptfigur sehr
gut dargestellt fand und diese auch durchaus sich durchaus selbstkritisch
betrachtet, empfand ich sie zeitgleich fast bis zum Schluss als jemand, der auf
hohem Niveau zu jammern gelernt hat.
Mit der beschriebenen Erkrankung der Oma und den daraus resultierenden Folgen
deutet sich letztlich ein Wechsel an. Erst danach wird der jungen Mutter
scheinbar bewusst, dass der meiste Druck von ihr selbst erzeugt wird und nur sie
etwas ändern kann. Gleichzeitig deutet genau dieser Wechsel aber auch an, dass
sie in gewisser Weise resigniert und sich den gesellschaftlichen Strukturen
unterwirft, indem sie zurücksteckt. Das empfindet sie glücklicher- und
sympathischerweise nicht als Verlust oder Versagen. Doch auch wenn mich das mit
dem übrigen Buchinhalt an sich irgendwie versöhnt, frage ich mich doch
unwillkürlich, was eine Autorin wie Streidl, die sich vorwiegend mit Feminismus
beschäftigt, damit ausdrücken möchte.
Fazit
Mit KANN ICH GLEICH ZURÜCKRUFEN? Der alltägliche Wahnsinn einer berufstätigen
Mutter bietet Streidl einen Einblick in den täglichen Spagat zwischen Wollen
und Können, zwischen Müssen und Dürfen. Kind und Karriere, beides ist auch
heute noch schwer vereinbar. Eine romanähnliche gehaltene Darstellung dieser
Thematik offenbar auch, denn die eher trocken-analytische Beschreibung Streidls
hebelt eben diesen Versuch aus. Insgesamt frage ich mich nach Beendigung des
Buches nach der eigentlichen Intention der Autorin, bietet sie doch nur eine
Auflistung von gleichermaßen bekannten wie gesellschaftlich gerne ignorierten
Problemen ohne Lösungsmodelle oder auch nur andeutungsweise Lösungsansätze.
Trotz der guten und kritischen Recherche möchte ich deshalb nur drei von fünf
Punkten dafür vergeben.
Copyright ©, 2013 Antje Jürgens (AJ)
Vorgeschlagen von Ati
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veröffentlicht am 20. Januar 2013 2013-01-20 15:10:46