Glückwunsch an die Autorin. Ich finde, dass "Harry Potter und der Orden
des Phoenix" ausgesprochen spannend geschrieben und fesselnd zu lesen ist.
Einige, in den bisherigen Bänden unklare Dinge klären sich auf (so wird Snapes
Hass auf Harry nachvollziehbarer, mehr soll hier nicht verraten werden).
Während Band 4 meines Erachtens durch seine außergewöhnliche Grausamkeit am
Ende etwas aus der bisherigen Reihe fiel, knüpft Band 5 wieder stärker - so
meine Beobachtung - an die Erfolgsfaktoren der ersten drei Bände an
(überschaubarer Schauplatz, begrenztes Figurenarsenal, witzige und skurrile
Situationen, Wechsel zwischen heiteren und tragischen Elementen). Er ist weniger
grausam wie der Vorgänger (obwohl eine Figur auch hier sterben muss), die
horrormäßigen Elemente wurden reduziert. Für mich ein eindeutiges Plus. Die
Handlung ist logisch aufgebaut, die Charakterzeichnung nach wie vor
differenziert und vielschichtig, der Roman selber vielschichtig (Fantasy-Roman,
Internatsgeschichte, Freundschaftsgeschichte etc.) Sicherlich liegt in dieser
Vielfalt und dem Ideenreichtum der Autorin auch der Grund für den anhaltenden
Erfolg der Serie.
Mir hat das Buch ausnehmend gut gefallen, besonders auch die Tatsache, dass sich
Harry Potter entwickelt: die Autorin schafft es glaubwürdig, die Gefühle eines
15-jährigen unter seinen Freunden plastisch darzustellen. Harry Potter hat sich
in diesem Buch sehr stark verändert: er ist reizbarer, unruhiger,
stimmungsabhängiger: die Pubertät hat zugeschlagen. Er und seine Freunde
wirken daher absolut glaubwürdig in ihren Handlungen und Reaktionen. Darin und
in der Erschaffung einer eigenen "phantastischen" Welt mit ihren
vielen liebevoll gezeichneten Details liegt Rowlings Stärke.
Was hebt nun aber den vorliegenden Band über die Vorgängerbände hinaus? Mir
ist aufgefallen, dass das Gefühl der Bedrohung subtiler als in den
Vorgängerbänden dargestellt wird, jedoch nachhaltiger "wirkt". Band
1 war sehr märchenhaft geschrieben und Zielgruppe waren eindeutig Kinder. Dies
gilt auch für Band 2. Vom dritten Band an ist die Zielgruppe eindeutig älter:
er richtet sich an Jugendliche und Erwachsene. Ab Band 3 wird die Atmosphäre
düsterer, allerdings auch die Wahl der Mittel (Zeitumkehr) spektakulärer und
unrealistischer. Band 4 ist sicherlich der ereignisreichste, allerdings auch
bedrückendste bisher erschienene Band der Reihe, da hier zahlreiche neue
Figuren und Schauplätze eingeführt werden; die "Dimension" der
Auseinandersetzung wird "globaler" und "internationaler".
Hogwarts ist im 4. Teil lediglich ein - wenngleich wichtiger - Schauplatz der
Ereignisse. Nur durch Zusammengehen aller - so die "Botschaft" des
vierten Bandes, der leider nicht mehr den Humor der Vorgängerbände besitzt,
ist Voldemort und das Böse zu schlagen.
Der vorliegende fünfte Band kehrt nun zur traditionellen Szenerie der Bände
1-3 zurück, Schauplatz sind die Dursleys und Hogwarts, welches wieder der
"Mittelpunkt" der Zaubererwelt ist - und nicht mehr nur ein Ort und
vielen in der vielgestaltigen Zauberwelt. Aber - und dies ist das herausragende
Neue am vorliegenden fünften Harry-Potter-Buch: die Konflikte zwischen den
Parteien gehen tiefer: aus einem Zweikampf der Parteien (hier Dumbledore (in der
ersten Buchhälfte überraschend passiv gezeichnet, Harry, Hermine, Ron und die
"guten" Zauberer gegen Voldemort und dessen Anhänger) wird ein
Dreikampf, indem als dritte Partei das Zaubereiministerium mit Fudge und der
großartig gezeichneten bösartigen Hauptfigur dieses Teils, der Lehrerin und
Großinquisitorin Dolores Umbridge, erfolgt. Anspielungen auf totalitäre
Systeme des 20. Jahrhunderts (Nationalsozialismus, Faschismus, Kommunismus) sind
wohl nicht zufällig gewählt. Jedes selbstständige Denken, jeder
Individualismus, soll zerstört werden. Dies zu zeigen, gelingt J. K. Rowling
ausgesprochen gut.
Das - zugegebermaßen - etwas plötzliche Ende mit der Vertreibung der
Großinquisitorin und dem Sieg des Guten wird teuer erkauft: mit einem sich
lange dahinziehenden Endkampf, der zum Tod einer wichtigen Hauptfigur der guten
Seite führt. Doch es zeigt auch: der Sieg über das Böse ist nie zum
"Nulltarif" zu haben - er ist meist mit Opfern verbunden.
Es gibt Kritiker, die dem Band "Ereignisarmut" vorgeworfen haben. Er
ist sicherlich nicht so reich an spektakulären Szenen wie die Vorgngerbände,
aber meines Erachtens ist die Spannung subtiler aufgebaut; die Konfrontation der
Parteien wirkt bedrohlicher und ging mi daher "mehr unter die Haut"
als die Ereignisse in den bisherigen vier Bänden: das Erschrecken über das
Böse ist tiefgründiger, da psychologisch noch genauer gezeichnet.
Fazit
Daher insgesamt wiederum ein hervorragender Band, der allerdings als Übergang
zu den abschließenden Auseinandersetzungen mit Voldemort, die sicherlich Thema
der letzten beiden Bände sein werden, gesehen werden muß. Hervorragend.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 11. November 2003 2003-11-11 23:37:30