Dies ist die Geschichte eines Hauses im Wandel der Zeiten. Allerdings ist es
nicht nur irgend ein Haus, sondern das 1929 in Berlin eröffnete Kreditkaufhaus
Jonass in der Torstraße 1, dessen wohlhabende, jüdische Besitzer, die Familie
Grünberg, dort zu erschwinglichen Konditionen Luxus für Jedermann anbieten.
Die junge, in bescheidenen Verhältnissen lebende Verkäuferin Vicky allerdings
fühlt sich auf eine besondere Weise mit dieser Familie verbunden, da sie ihre
große Liebe in Harry, dem Ältesten, gefunden hat, ein Kind von ihm erwartet
und kurz vor der Niederkunft steht. Niemand weiß, wer der Vater des Kindes ist
- nicht einmal ihre beste Freundin Elsie, denn eine Verbindung zwischen den
beiden unterschiedlichen Gesellschaftsklassen ist unmöglich.
So kommt denn die kleine Elsa eher als erwartet auf die Welt. Während im
festlich geschmückten Kaufhaus die Einweihung gefeiert wird, entbindet Vicky in
einem kleinen Postraum mit Hilfe des Zimmermanns Wilhelm, der als Handwerker
geholfen hatte, das Kaufhaus zu bauen und zum Fest geladen ist. Die starken,
warmen Hände, die einst hier etwas Bleibendes geschaffen hatten, helfen auch
Elsa ins Leben. Als habe das Schicksal eine Bindung schaffen wollen, wird zur
gleichen Zeit Wilhelms Sohn Bernhard geboren, den seine Mutter Martha allein zur
Welt bringen muss, weil Wilhelm zu spät nachhause zurückkehrt.
Im Leben kreuzen sich dadurch die Wege beider Familien, eine tiefe Freundschaft
entsteht zwischen Bernhard und Elsa, trotz aller Zwänge, die von Machthabern
und politischen Gesinnungen und Maßnahmen ausgeübt werden. Das Kaufhaus wird
immer wieder Symbol für einen anderen Zeitgeist. Mal liegt in den Händen
seiner Bewohner die Erziehung der Hitlerjugend, mal ist es Heimat der SED
Zentrale oder Institut für Marxismus und Leninismus. Heute - achtzig Jahre nach
Elsas Geburt - als wieder einmal eine Eröffnung des Hauses die ehrwürdigen
Mauern in neuen Glanz hüllt, seine Gebäude angefüllt sind mit Offices, Lofts
und Lounges, Kinos und Restaurants, steht sie davor und fragt sich, ob sie hier
Bernhard, nach Jahren der Trennung, wiedersehen wird. Wird dieses
"Schicksalshaus", über das nun in flammenden Reklame-Lichtern der
Name "Soho House Berlin" geistert, auch für ihn immer noch der Ort
sein, an dem er zurück zu seiner Liebe und seinen Wurzeln findet?
Es ist sehr schwierig, dieses Buch zu beurteilen und sich mit möglichst
knappen, informativen Sätzen zufrieden zu geben. Das ist etwas, was mir absolut
nicht gelingen konnte, denn es braucht doch eine Menge Worte, um den Emotionen
gerecht zu werden, die dieses Buch geweckt hat.
Sybil Volks hat einen wunderbaren Roman geschrieben, das möchte ich gleich
einleitend schon einmal deutlich machen. Mit sehr guter Kenntnis der
Zeitgeschichte und anschaulicher Schilderung der Handlungsschauplätze
vermittelt sie dem Leser ein problemloses Eintauchen in das angesprochene Thema.
Die flüssige, schöne Sprache, mit der sie die Protagonisten skizziert, lassen
interessante, diskussionswürdige Charaktere entstehen, mit denen der Leser sich
auf diese oder jene Art identifizieren kann. Die Schriftstellerin greift einen
Zeitrahmen auf, der gerade in Deutschland von gewaltiger Bedeutung war und immer
noch ist. In wunderbarer Symbolik spielt dieses prachtvolle Haus eine tragende
Rolle, und das ist so glaubwürdig, dass wir es vor uns sehen - in all seiner
festlichen Eröffnungsschönheit als auch in der von Regimen auferlegten
Propagandarolle. Dieser Roman spiegelt das ganze Kaleidoskop menschlicher
Empfindungen wider, warmherzig, mitfühlend und spannend erzählt - ein Buch,
das man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte, weil es einen direkten
Zugang zur Seele hat.
Fazit
Ein Werk wie ein Leben - voller Höhen und Tiefen, bestimmt von Angst und Mut,
Macht und Ohnmacht, Liebe und Verrat - zeigt es den ganzen Bogen verzeihlicher
und bewundernswerter Menschlichkeit. Großartig.
Vorgeschlagen von brillenbaby
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veröffentlicht am 07. Dezember 2012 2012-12-07 12:12:28